Predigt zum 5. Fastensonntag (Joh 1,35-42)

Weizenkorn

Der heutige Sonntag wird auch Passionssonntag genannt. Mit ihm beginnen sich die Texte der Liturgie immer mehr auf das Leiden und den Tod Jesu zu konzentrieren. In vielen Kirchen werden heute auch die Kreuze verhüllt, um die Menschen auf den Karfreitag einzustellen, an dem dann die feierliche Enthüllung und Verehrung des gekreuzigten Jesus Christus stattfinden wird.

Der Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium, den wir gerade gehört haben, ist die letzte öffentliche Rede Jesu, bevor sein Leidensweg beginnt. Und in seinen Worten wird deutlich: Das, was ihr in den nächsten Tagen erleben werdet, wird nicht das Ende sein, die Katastrophe, die alles vernichtet. Nein, es ist die Stunde, in der alles erfüllt wird, alles zur Vollendung kommt.

Jesus verwendet dafür, wie so oft, ein Bild, damit die Zuhörerinnen und Zuhörer es auch verstehen: das Weizenkorn. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“

Darin liegt das Geheimnis des christlichen Glaubens. Selbst aus der größten Katastrophe kann Gutes entsteht, selbst der Tod mit seiner vermeintlichen Endgültigkeit ist nicht das Ende. Es gibt immer noch eine Hoffnung. Der Garant dafür ist Jesus Christus, der Sohn Gottes, der verurteilte, verspottete, gefolterte Verbrecher, der qualvoll am Kreuz hingerichtet wurde. Wer ihm vertraut, der wird nicht untergehen, sondern reiche Frucht bringen.

Genau das will Jesus mit diesem Bild vom Weizenkorn und seinen Worten, die wir heute gehört haben, deutlich machen:

„Die Stunde ist gekommen, da der Menschensohn verherrlicht wird. Wer sein Leben liebt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.“

Dass all das selbst für Jesus nicht einfach ist, erleben wir auch. Seine Seele ist erschüttert, heißt es da. Er bittet Gott, ihn aus dieser Stunde zu retten, weiß aber genauso, dass diese Stunde notwendig ist, damit der Name Gottes verherrlicht wird und er als Erhöhter alle an sich ziehen kann, um sie zu retten.

Das bedeutet: Das, was ihr bald erleben werdet, dient der Verherrlichung Gottes und eurer Rettung. Und das gilt bis heute, daher sollten wir auch in diesem Jahr die Karwoche und das Osterfest nicht irgendwie feiern, sondern mit vollem Ernst und großem Respekt vor Jesus Christus. Es gibt genügend Situationen in der heutigen Welt, die uns mutlos machen, Krieg, Terror, Umweltzerstörung, Gewalt und Missbrauch – und vieles mehr. Durch die Feier der Karwoche und von Ostern erleben wir, dass Gott trotz allem der Stärkere ist.

„Man muss Gott von ganzem Herzen lieben,“ meint daher auch der heilige Franz von Sales. „Verrichten Sie alle Ihre Handlungen, um Gott wohlgefällig zu werden; nur dazu sind Sie hier, und um sich zu vervollkommnen. Man muss gern in sich das Leiden unseres gekreuzigten Herrn fühlen“ (DASal 12,367).

Die Folge dieser Übung ist, dass ich nicht den Mut verliere, sondern mir bewusst wird, dass Gottes Wege oft ganz anders verlaufen, als ich es verstehe oder haben möchte, dass am Ende aber nicht der Karfreitag steht, sondern immer der Ostermorgen aufleuchten wird. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS