Pedigt zum 4. Fastensonntag (Joh 3,14-21)

Was Liebe bedeutet

Ziel des Evangelisten Johannes ist es, mit seinem Evangelium den Menschen begreiflich zu machen, dass Gott Liebe ist.

In seinem ersten Brief schreibt er das ebenfalls in einer Art Zusammenfassung mit folgenden Worten:

„Gott ist Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1 Joh 4,16)

Dass diese Liebe jedoch weit mehr ist als nur ein romantisches Gefühl – so wie wir heute oft mit diesem Begriff umgehen -, das macht uns der Evangelist Johannes vor allem bei den Abschiedsreden Jesu beim letzten Abendmahl deutlich, wo Jesus sagt:

„Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage … Dies trage ich euch auf: dass ihr einander liebt“ (Joh 15,12-14.17).

Und gerade eben haben wir einen Ausschnitt aus dem Gespräch Jesu mit dem Pharisäer und Schriftgelehrten Nikodemus gehört, der in der Nacht zu Jesus kam, um herauszufinden, ob dieser Jesus wirklich der erwartete Messias, der Sohn des lebendigen Gottes ist. Und diesem Nikodemus sagt Jesus:

„Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.“

Genau das verstehen wir Christinnen und Christen, wenn wir von Liebe reden. Es geht nicht nur um ein romantisches Verliebtsein, auch nicht um irgendwelche Herz-Schmerz-Filme oder -Romane, die uns zu Tränen rühren, bei der Liebe im christlichen Sinne geht es um Hingabe und Opfer, sogar wenn es mein eigenes Leben kostet. Es geht nicht in erster Linie um mich, sondern um das Wohl, um die Rettung der Anderen, und es geht um das Dienen, nicht um das Herrschen. Genau dort, wo diese Liebe spürbar wird, genau dort erlebe ich Gott, der Liebe ist. Genau dort wird es hell, dort leuchtet das Licht Gottes und seine Wahrheit auf.

Genau das sollte nicht nur der Pharisäer Nikodemus begreifen, sondern umso mehr wir, die wir Christus folgen wollen. Ein Beispiel und Vorbild, wie so etwas geht, haben wir im heiligen Franz von Sales erhalten, der genau deshalb heute von der Kirche „Lehrer der Liebe“ genannt wird. Von ihm gibt es unzählige Aussagen über die Liebe und keine davon ist romantisch – immer geht es dabei um den Dienst an den anderen und um die Hingabe. Die „Hochschule der Liebe“, also jener Ort, an dem wir am besten lernen können, was Liebe ist und was es bedeutet, wenn wir sagen, dass Gott Liebe ist und wir einander lieben sollen, diese „Hochschule der Liebe“ ist für Franz von Sales der Kalvarienberg, also jener Ort, an dem Jesus Christus unschuldig gekreuzigt wurde und qualvoll zugrunde ging … weil er eben die Menschen so sehr geliebt hat.

Wir bereiten uns gerade auf das Osterfest vor, wo wir uns genau daran erinnern, dass Gott die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen Sohn zur Rettung der Welt hingab. Es ist das höchste Fest des Kirchenjahres, weil sich eben im Ereignis von Jesu Leiden, Tod und Auferstehung Gott als Liebender offenbarte.

„O Jesus, mein Erlöser“, betet daher der heilige Franz von Sales in seiner Betrachtung über den Tod Jesu, „O Jesus, mein Erlöser, wie liebenswert ist Dein Tod, weil er die erhabene Wirkung Deiner Liebe ist!“ (DASal 4,316). Und dann meint er: „Der Kalvarienberg ist der Berg der Liebenden. Alle Liebe, die ihren Ursprung nicht in dem bitteren Leiden des Erlösers hat, ist leichtfertig und gefährlich.“ (DASal 4,316).

Die Karwoche und das Osterfest sind also Tage, in denen wir Christinnen und Christen lernen, was Liebe wirklich bedeutet. Amen.

P. Herbert Winklehner