Predigt zum 10. Sonntag im Jahreskreis (Mt 9,9-13)

Berufung

Wenn wir in der Kirche das Wort „Berufung“ hören, dann denken wir heute normalerweise sogleich an die besondere Berufung zum Priester oder zum Eintritt in ein Kloster oder eine Ordensgemeinschaft. Das ist allerdings viel zu kurz gegriffen. Bei Jesus geht es nämlich bei seinen Berufungen erst einmal darum, ihm einfach nur zu folgen.

Wie so etwas funktioniert, erzählen uns die Evangelien in einer ganzen Reihe von Berufungsgeschichten. Das erstaunliche daran ist, dass dabei überhaupt nicht viel diskutiert wird. Jesus sagt einfach: „Folge mir nach“ – und die Angesprochenen lassen alles liegen und stehen und folgen Jesus – oder eben nicht.

Wenn wir uns dann diese Angesprochenen genauer anschauen, dann erkennen wir außerdem ein weiteres, sehr interessantes Merkmal der Berufungen Jesu. Diese Menschen waren keine Hohepriester oder Schriftgelehrten, sondern Fischer, Handwerker, Eiferer, Donnersöhne oder – wie es uns das heutige Evangelium beschreibt – Zöllner und Sünder. „Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu berufen“ – also Heilige und Superfromme –, sagt da Jesus, „sondern die Sünder.“ Und da waren ziemlich große Sünder dabei, wie eben der Zöllner Matthäus, also ein geldgieriger Ausbeuter. Es gab aber auch Bettler, Lahme und Blinde, Aussätzige, ja sogar Prostituierte und Ausgegrenzte, ganz nach dem Motto Jesu: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“

Und was sollen all diese von Jesus Berufenen tun? Auch das sagt Jesus klar, deutlich und kurz: „Geht, und lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“

Was bedeutet all das für uns heute? Erstens: Nicht nur die Bischöfe, Priester, Diakone und Ordensleute, sondern wir alle gehören seit unserer Taufe zur bunten Schar der von Jesus Berufenen. Zu jedem einzelnen von uns sagt Jesus: „Folge mir nach!“ Das bedeutet nicht, dass wir jetzt alle miteinander ins Kloster gehen müssen, sondern dass jede und jeder mit seinen Talenten, mit seinen Fähigkeiten bereit ist, in die Welt hinauszugehen und zu lernen, was es heißt, barmherzig zu sein. Niemand von uns kann sagen, das kann ich nicht, ich bin doch kein Theologe, kein Heiliger, das müssen andere machen, die mehr Fähigkeiten haben.

Nein, Gott hat nämlich in jeder und jedem von uns eine Fähigkeit erkannt, die wir ihm zur Verfügung stellen sollen, damit seine frohe Botschaft in dieser Welt lebendig bleibt.

Die erste Frage ist also: Was kann ich, was mach ich gerne? … und die zweite: Wie stelle ich das, was ich kann, Gott so zur Verfügung, sodass die Menschen um mich herum den barmherzigen Gott erleben?

Der heilige Franz von Sales rät uns, dass wir uns immer wieder bewusst machen, dass meine Berufung ein Geschenk Gottes ist. Überlege doch, sagt er: „Wie gut und gnädig war doch Gott zu dir … Hältst du es nicht für ein Glück, im Gebet mit Gott sprechen zu können, ihn lieben zu dürfen?“ (DASal 1,246-247). Das sollen wir uns immer vor Augen halten: Von Gott berufen zu sein, ist eine besondere Ehre. Trotz unserer Schwächen und Fehler sagt er zu uns: „Folge mir nach“. Das bedeutet: Er hält uns für fähig, mit ihm zu gehen und mit unseren Talenten das Reich Gottes aufzubauen.

So lade ich dazu ein, dass wir uns dieses Gottesgeschenk, von ihm berufen zu sein, wieder einmal bewusst machen und darüber nachdenken, was das konkret für uns und unser Leben als Christin oder Christ von heute bedeutet. Wie kann ich dazu beitragen, die frohe Botschaft des barmherzigen Gottes in meiner Umgebung spürbar werden zu lassen? Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS