Predigt zum 16. Sonntag im Jahreskreis (Mk 6,30-34)
Spiritualität der Pause
vor vielen Jahren war ich einmal in Israel. An einen Ort erinnere ich mich heute noch sehr gut. Es war jener Ort am See von Genezaret, von dem behauptet wird, dass es der Ort sei, wohin Jesus seine Jünger führte, um nach den Anstrengungen ihrer Missionsarbeit ein wenig Ruhe zu finden, also jener Ort, von dem wir im heutigen Evangelium hörten: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus.“ Ich bin dort ungefähr zwei Stunden lang gesessen und hab einfach die Ruhe genossen, die an diesem Ort herrschte. Es war eigentlich das einzige Mal auf dieser Israelreise, wo ich mir dachte: Ja, hier sind die Spuren Jesu tatsächlich hautnah spürbar. Dort habe ich auch begriffen, dass es im christlichen Leben unbedingt solche Ruheplätze braucht, damit wir in unserem Leben mit Jesus in Berührung kommen können. Es braucht Orte der Stille, ohne Ablenkung, Orte, an denen man wirklich ausruhen und in Gottes Gegenwart verweilen kann, und sei es nur für fünf Minuten.
Manchmal ist es ganz gut, wenn man einen Evangeliumstext im griechisches Original liest, um der Bedeutung dieses Textes noch mehr auf die Spur zu kommen. Ich hab das diesmal getan und festgestellt, dass das Wort „ausruhen“, das Jesus hier verwendet, im griechischen Originaltext „ana-pausein“ heißt. Da steckt das Wort „Pause“ drinnen. Jesus sagt also seinen Jüngern: „So, kommt mit an einen einsamen Ort und macht mal eine Pause“. Das heißt also für uns: eine Pause machen ist eine religiöse Übung, genauso wie das Abendgebet oder der Rosenkranz. Das bestätigt Jesus noch an einer anderen Stelle, wo er sagt: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt – ich will euch Ruhe verschaffen.“ – Auch hier wird das griechische Wort „ana-pausein“ verwendet. Also auch hier sagt Jesus: Kommt zu mir, ich verhelfe euch zu einer Pause.
Diese Frömmigkeitsübung der Pause ist im Schöpfungsplan Gottes grundgelegt. Sechs Tage soll der Mensch arbeiten, am siebten Tag aber, da soll er eine Pause machen. Da soll er ausruhen, sich erholen – am besten so nahe wie möglich bei Gott, denn er ist die wahre Quelle unserer Kraft und Stärke. Unsere Welt hat diese von Gott strukturierte Pause leider etwas durcheinandergewirbelt. Der Sonntag ist nicht mehr selbstverständlich ein Ruhetag. Offenbar fällt es dem Menschen gar nicht so leicht, einfach einmal eine Pause zu machen, einfach zu SEIN, und nichts zu tun.
Und was uns noch irgendwie verloren gegangen ist, ist die Überzeugung, dass Gott es ist, der mir in einer solchen Pause diese Ruhe schenken kann, die ich brauche, um wieder gestärkt in den Alltag hineingehen zu können. Und doch ist es so, dass Jesus – wenn er uns zu einer Pause einlädt – jedes Mal sagt: Kommt zu mir, kommt mit mir – mit mir zusammen werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Die Gegenwart Jesu ist es, die die Pause zu einer stärkenden, kraftspendenden Quelle macht, die uns weiterleben lässt.
Die göttliche Einladung zur Pause ist also nicht gottlos, sie ist eine Pause mit ihm zusammen, in seiner Gegenwart.
So meint auch der heilige Franz von Sales: „Es ist gewiss keine gute Eigenschaft, wenn man weder sich noch anderen irgendeine Erholung gönnen will“ (DASal 1,185). Er betont aber auch: „Verbringen wir […] die Zeit unserer Erholung immer so, dass wir die ewige Seligkeit […] bewahren!“ (DASal 1,174) – Das bedeutet: Vergessen wir dabei nicht auf die Gegenwart Gottes.
Genau dazu sind wir heute eingeladen, und nicht nur heute, sondern jeden Sonntag: mit Jesus zusammen eine Pause zu machen, in seiner Gegenwart neue Kraft zu schöpfen für den Alltag. Meine persönliche Erfahrung ist, dass das wirklich gut tut. Wir sollten also nicht von Sonntagspflicht reden, sondern vom Snntagsgeschenk, vom Geschenk der Spiritualität der Pause mit Gott. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS