Predigt zum Weihnachtsfest

Der spürbare Gott

Warum feiern wir eigentlich Weihnachten? Diese Frage wird nicht nur jedes Jahr in verschiedenen Medien gestellt, um herauszufinden, ob unsere Gesellschaft überhaupt noch weiß, worum es an diesen Tagen geht. Diese Frage sollten uns auch wir Christinnen und Christen jedes Jahr von Neuem stellen, ganz egal wie oft und wie intensiv wir das Weihnachtsfest in unserem Leben schon gefeiert haben.

Weihnachten ist nämlich nicht irgendein Geburtstagsfest wie jedes andere. Wir erinnern uns auch nicht einfach an ein historisch nicht mehr so ganz eindeutig datierbares Ereignis, das vor ungefähr 2000 Jahren stattgefunden hat. Bei diesem Fest geht es vielmehr darum, dass Gott Mensch wird: Immanuel – Gott mit uns – aber nicht im Stall von Betlehem bei Ochs und Esel, mit vielen Hirten und Schafen, umrahmt von einem himmlischen Heer singender Engel, sondern hier bei uns, in meiner Welt, in meiner Gegenwart.

Wir Christinnen und Christen glauben daran, dass Gott in Jesus Christus Mensch wurde, damit wir Gott und seine Liebe unter uns tatsächlich erleben und erfahren können. Er ist „Immanuel“ – das heißt: „Gott mit uns“. „Wir wollen unseren Erlöser betrachten, der in seiner heiligen Geburt zu uns kommt …: Emmanuel – Gott mit uns,“ sagt daher auch der heilige Franz von Sales (DASal 5,215). Seine Gegenwart mitten unter uns ist nicht verschwunden, sie gilt immer noch, zu jeder Zeit, an jedem Ort – selbst dann, oder gerade dann, wenn es immer mehr Menschen gibt, die die Existenz eines Gottes ablehnen oder denen Gott einfach gleichgültig ist.

Für uns Christinnen und Christen hat das vor allem zwei Konsequenzen: Erstens: Unsere Aufgabe ist es, Gott und seine Gegenwart in unserem Leben immer wieder neu zu entdecken. Wo wird Gott in meinem Leben spürbar? Das kann ganz unterschiedlich sein. Nur ein Beispiel: Ich war vor Weihnachten bei einer demenzkranken Frau zu Besuch. Wir haben die Kerzen am Adventkranz angezündet und Adventlieder gesungen. Diese Frau konnte jedes Adventlied mit allen Strophen mitsingen. Wir sagen euch an den lieben Advent, Macht hoch die Tür, Tauet Himmel den gerechten, Der Engel des Herrn und Segne du Maria … Es war wunderbar. In dieser Stunde fand für mich Weihnachten statt: Gottes Gegenwart mitten unter uns.

Wenn wir genauer darüber nachdenken, wo in unserem Alltag Gott spürbar wird, dann erleben wir genau das, was wir an Weihnachten feiern: die Menschwerdung Gottes mitten unter uns.

Die zweite Konsequenz des Weihnachtsfestes besteht darin, dass ich es mir als Christin oder Christ zur Aufgabe mache, Gott in dieser Welt durch mein Handeln spürbar werden zu lassen, mit den Fähigkeiten, die ich besitze, in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Pfarrgemeinde, in der Nachbarschaft, in meinem Land und in der ganzen Welt. Die Welt soll durch mich ein bisschen heller werden.

Auch dafür, glaube ich, gibt es, wenn wir ein wenig nachdenken, eine Menge Beispiele, wo das möglich ist. Welche Menschen fallen mir ein, durch die mein Leben etwas heller wurde? Genau dort ist mir Gott begegnet und genau so möchte Gott, dass auch ich lebe.

„Ich will keine fantastische, mürrische, melancholische, verärgerte und kopfhängerische Frömmigkeit;“ schrieb der heilige Franz von Sales in einem Brief, „wohl aber eine sanftmütige, freundliche, angenehme, friedliche – mit einem Wort eine ganz aufrichtige Frömmigkeit, die von Gott zuerst und dann von den Menschen geliebt wird.“ (DASal 6,43).

Wenn ich also sanft, freundlich, angenehm und friedlich lebe, dann lebe ich weihnachtlich, dann wird Gott auch durch mich spürbar und erfahrbar.

Wünschen wir uns also heute nicht nur ein gesegnetes Weihnachtsfest, sondern leben wir es auch: Leben wir Immanuel – Gott mit uns – lassen wir ihn zum spürbaren Gott werden. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS