Predigt zum Pfingstfest (Joh 20,19-23)

Geist-Erfahrung

Vor ungefähr dreißig Jahren verursachte ich mit einem Artikel in unserer salesianischen Zeitschrift LICHT einen kleinen Aufruhr. Dieser Artikel begann nämlich mit dem Satz: „Irgendwo im hintersten Winkel einer Großstadt sitzt der Heilige Geist und friert sich seine Füße ab. Er hat es endlich kapiert: niemand will etwas von ihm wissen.“

Vor ein paar Tagen bekam ich wieder einmal die Bestätigung dieser Aussage. Im Radio wurde gefragt, was denn an Pfingsten gefeiert wird. Niemand wusste es, nicht einmal der Moderator. Er erkundigte sich allerdings nicht bei einem Theologen, sondern holte sich seine Information aus dem Internet und sagte dann ganz erstaunt: „Ah, das hat mit dem Heiligen Geist zu tun … ihr wisst schon, das ist dieses Drittel von dem da oben.“

Ob eine solche Redeweise heute noch irgendjemanden aufregt, sei einmal dahingestellt, sie zeigt jedoch, dass die Bedeutung des Pfingstfestes in unserer Gesellschaft eigentlich kaum mehr eine Rolle spielt. Trotzdem hat das Pfingstereignis, das wir heute feiern, also die Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Apostel in Jerusalem vor 2000 Jahren wie kein anderes die ganze Welt verändert. Ohne Pfingsten gäbe es keine Kirche und kein Christentum, ohne Pfingsten gäbe es daher auch kein Weihnachten und kein Ostern. Die Jüngerinnen und Jünger wären ein verschrecktes Häuflein geblieben, das sich hinter verschlossenen Türen vor den jüdischen und römischen Machthabern versteckt und irgendwann aufgelöst hätte.

Weihnachten war der Beginn, Ostern der Höhepunkt des göttlichen Erlösungswerkes, das Pfingstfest jedoch ist dessen Vollendung, die es erst ermöglichte, dass sich die Botschaft Jesu in die ganze Welt ausbreitete … wie ein Lauffeuer und wie ein Wirbelsturm, angetrieben vom Heiligen Geist, von dem der heilige Franz von Sales sagt, dass er „die Liebe zwischen Gott Vater und Gott Sohn ist“, die sich über die ganze Welt ergießt.

Wie erklären wir das einer heutigen Gesellschaft? Vielleicht mit den sieben Gaben des Heiligen Geistes? Durch das Pfingstereignis gibt es in unserer Welt Weisheit, Rat und Stärke, Einsicht und Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Oder durch die Früchte des Heiligen Geistes, die der Apostel Paulus als Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Keuschheit beschreibt.

Letztlich kann ich all das nur erklären, wenn die Menschen mich selbst als begeisterten, also vom Heiligen Geist durchdrungenen Christen oder Christin erleben, durch mein persönliches Zeugnis, meine Begeisterung, meine Lebensweise, durch die Gottes Liebe in dieser Welt, also der Heilige Geist spürbar, erfahrbar und erlebbar wird.

Das heutige Evangelium weist uns dabei auf zwei grundlegende Elemente hin, die das möglich machen: Zum einen ist es der Friede, den Jesus seinen Jüngern wünscht, zum anderen ist es die vergebende, versöhnende Kraft der Barmherzigkeit, zu der der Heilige Geist befähigt: „Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.“

Das Schöne am Pfingstfest ist, dass all diese Gaben, die mit diesem Fest zusammenhängen, nicht kommerzialisiert werden können. Sie stehen nicht wie Weihnachtsmänner oder Osterhasen in den Supermärkten. Um dieses Fest hat sich auch keine Folklore ausgebildet, die vom Wesentlichen ablenkt. Für die Marktwirtschaft ist dieses Fest uninteressant, für uns aber gerade deshalb umso wichtiger. Das heißt nämlich: Das Wesentliche unseres Glaubens ist weder käuflich noch verkäuflich, sondern reines Geschenk, das von Gott über uns ausgeschüttet wird, damit wir das Leben haben, und zwar in Fülle.

„Lassen wir uns,“ so empfiehlt der Heilige Franz von Sales, „vom milden Wehen des Heiligen Geistes treiben und vorwärts bewegen und tragen.“ Und ich füge hinzu: Lassen wir die Menschen um uns spüren, dass wir wirklich begeisterte Christinnen und Christen sind. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS