Predigt zum Palmsonntag (Phil 2,6-11; Mk 11,1-10)
Demut, die sich niederneigt
Als man 1619 in der französischen Hauptstadt Paris erfuhr, dass Franz von Sales in der Stadt ist, gab es einen riesigen Volksauflauf. Alle wollten den berühmten Bischof aus Genf und Autor des Bestsellers „Philothea – Anleitung zum frommen Leben“ sehen und vor allem – heute kaum mehr vorstellbar – predigen hören. Die Martinskirche, wo diese Predigt stattfinden sollte, war völlig überfüllt. Die Leute kletterten sogar von außen zu den Fenstern hinauf, um Franz von Sales sehen und hören zu können. Und was tat der Bischof? Er erzählte zur Enttäuschung vieler in ganz einfachen Worten das Leben des heiligen Martin von Tours.
Jesus Christus ging bei seinem bejubelten Einzug in Jerusalem ähnlich vor. Er hielt überhaupt keine Rede und als Reittier wählte er einen jungen Esel. Warum gerade einen Esel? Er ist das Tier der einfachen Leute, die sich weder ein Kamel noch ein Pferd leisten konnten. Außerdem spielt der Esel in der biblischen Tradition des Volkes Gottes immer wieder eine prophetische Rolle. Beim Propheten Sacharja (9,9) etwa heißt es: „Siehe, dein König kommt zu dir. Gerecht ist er und … demütig ist er und reitet auf einem Esel, ja, auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin.“
Sowohl das Verhalten des heiligen Franz von Sales in Paris, als auch die Wahl des Esels bei Jesu Einzug in Jerusalem haben eine besondere Symbolkraft, die uns bis heute zeigt, worauf es im christlichen Glauben wirklich ankommt … nämlich auf die Demut, eine Tugend, die wir gerade in unserer modernen Welt dringender denn je nötig haben. Ohne Demut ist weder die Welt noch der Mensch zu retten. Die Demut besagt nämlich, dass es nicht um meine Macht, meinen Erfolg, meine Leistung geht, die erreicht und bejubelt gehört, sondern immer um den Dienst für die anderen und ganz besonders um die Größe und Herrlichkeit Gottes, der ich mich zu beugen habe. „Demut ist Liebe, die sich niederneigt“ (DASal 2,119), meint Franz von Sales: vor Gott und vor den Menschen.
Der Apostel Paulus beschreibt dies über Jesus in seinem berühmten Christushymnus aus dem Brief an die Gemeinde von Philippi, den wir heute zur Lesung gehört haben: „Christus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.“
Dieses Beispiel gilt nicht nur als Vorbild für die große Welt- und Kirchenpolitik, sondern auch für unsere kleine Welt der Pfarrgemeinde und in den Familien. Erfolgreich sind wir nicht, wenn uns alle zujubeln und tun, was wir wollen, sondern wenn wir den Mut haben, den anderen zu dienen und alles, was wir tun, zur Ehre Gottes tun.
Würde die Geschichte Jesu mit dem bejubelten Einzug in Jerusalem enden, so wage ich zu behaupten, würde man heute kein Wort mehr über ihn verlieren. Das Wesentliche aber folgt noch: der Gründonnerstag, wo Jesus uns in der Fußwaschung deutlich machen wird: „Liebt einander – der Größte von euch ist der, der dient“; dann der Karfreitag, sein schmachvoller Tod am Kreuz und schließlich der Ostermorgen, seine glorreiche Auferstehung, in der sich die Macht und Herrlichkeit Gottes in seiner ganzen Größe als Sieger über Sünde und Tod offenbart.
Das Wort „Hosanna“, das die Menschen Jesus zurufen, ist Hebräisch und bedeutet auf Deutsch: „Herr, hilf uns, rette uns“. Ja, bitten wir Gott, dass er uns hilft, die Demut zu lernen – und damit uns und die Welt zu retten. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS