Predigt zum Karfreitag (Joh 18,1-19,42)
Gebrochene Hoffnung
„Wenn das Unvorstellbare geschieht“, so lautet der Titel eines Buches des Salzburger Theologen Clemens Sedmak. In diesem Buch verarbeitet er den Suizid seines 15-jährigen Sohnes, der sich während der Coronazeit ohne jede Vorwarnung über Nacht einfach das Leben genommen hat. Wenn das Unvorstellbare geschieht, wie kann man dann überhaupt noch glauben, ja Theologie betreiben und von einem liebenden Gott und guten Hirten sprechen, der unser Leben begleitet und trägt? Wenn das Unverstellbare geschieht, gibt es dann überhaupt noch einen Gott, oder nur noch die Gottverlassenheit?
Am Karfreitag ist ebenfalls Unvorstellbares geschehen. Jesus, auf den alle ihre Hoffnung gesetzt haben, ist tot: gefangen genommen, gefoltert, verurteilt, gekreuzigt, tot. Alles, woran die Jüngerinnen und Jünger geglaubt haben, ist zerbrochen, ja vernichtet. Diese Situation gehört zu unserem christlichen Glauben genauso dazu, und wir sollten nicht vorschnell auf den Ostermorgen verweisen. Es gilt auch heute, dass wir dieses Unvorstellbare aushalten, weil es genug Menschen gibt, die genau solche Karfreitagssituationen aushalten müssen. Situationen, die nicht nach drei Tagen wieder zu Ende sind, sondern sogar ein Leben lang andauern können. Auch das gilt es mitzubedenken, wenn wir den Karfreitag feiern, das Kreuz verehren und singen: „Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt.“
Clemens Sedmak hat in seinem Buch für sich dafür einen neuen Begriff gefunden: die „fragile Theologie“ – also den „zerbrochenen Glauben“, der uns Christinnen und Christen stets begleitet und begleiten muss, obwohl wir von der unzerstörbaren Hoffnung getragen sind, dass kein Tod, den wir in unseren Leben erfahren, das letzte Wort hat. Die Anfrage an Gott bleibt trotzdem: „Warum hast du mich verlassen?“ – Wie konntest du das zulassen? Du bist doch ein liebender Gott und willst, dass wir das Leben haben, das Leben in Vollendung. Wie ist all das Leid, das Menschen ertragen müssen, damit vereinbar? Da hat doch jeder recht, der meint, dass es dich nicht gibt und du nur eine Illusion bist, die uns wie eine Droge benebelt. Bei klarem Verstand betrachtet, ist doch das alles nur Lug und Trug.
Eine „fragile Theologie“, ein „zerbrochener Glaube“ hält solche Fragen aus und durchlebt nicht nur den Karfreitag, sondern auch den Karsamstag – diese Zwischenzeit zwischen absoluter Hoffnungslosigkeit und dem Triumpf des Ostermorgens. Er nimmt die Leiden der Menschen ernst und sagt nicht vorschnell, es wird schon wieder, die Zeit heilt alle Wunden.
Auch diese Aufgabe haben wir Christinnen und Christen, die aus der Hoffnung leben: die zerbrochenen Hoffnungen anderer mitzutragen und auszuhalten und damit einen Funken Hoffnung in die Finsternis zu schicken.
Der heilige Franz von Sales meint dazu: „Man kann das Kreuzzeichen machen, um zu bezeugen, dass man an den Gekreuzigten glaubt, dann ist es ein Bekenntnis des Glaubens; oder auch um zu zeigen, dass man seine Hoffnung und sein Vertrauen in denselben Erlöser setzt, und dann ist es eine Anrufung Gottes um seine Hilfe kraft der Passion seines Sohnes.“ (DASal 11,142)
In diesem Sinne lade ich nun ein, dass wir das Kreuz verehren … unser Zeichen für den zerbrochenen Glauben, wenn das Unvorstellbare geschieht, das Hoffnungszeichen trotz allem. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS