Predigt zum Fest Heilige Familie (Lk 2,22.39-40)

Gottes Gnade in und um uns

„Das Kind wuchs heran und wurde stark, erfüllt mit Weisheit, und Gottes Gnade ruhte auf ihm.“ So haben wir es gerade im Evangelium gehört. Es ist der Abschluss der Erzählungen des Evangelisten Lukas über die Geburt Jesu. Gleich danach erzählt er die Geschichte des 12-Jährigen Jesus im Tempel. Mit diesem einen Satz werden also die ersten zwölf Lebensjahre Jesu zusammengefasst.

Für den Evangelisten Lukas war damit offenbar das Wichtigste über die ersten Lebensjahre Jesu gesagt. Ähnlich, und in ähnlicher Kürze beschreibt er übrigens auch die weiteren Jahre bis zum ersten öffentlichen Auftreten Jesu. Dort heißt es: Jesus „kehrte nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam. Seine Mutter bewahrte all die Worte in ihrem Herzen. Jesus aber wuchs heran und seine Weisheit nahm zu und er fand Gefallen an Gott und an den Menschen.“

Wenn wir heute das Fest der Heiligen Familie feiern, also das Fest des heranwachsenden Jesus bei Maria und Josef in Nazaret, dann geht es eigentlich nicht darum, uns das ideale Konzept einer christlichen Familie vor Augen zu führen. Es geht auch nicht darum, darüber nachzudenken, ob all die Legenden und Geschichten, die sich im Laufe der Jahrhunderte über diese verborgenen Jahre in Nazaret herausbildeten, tatsächlich stimmen oder nicht. Vielmehr sollten wir uns daran erinnern, was den Kern und das Wesen der christlichen Frömmigkeit für jeden Menschen ausmacht, egal, wo er lebt, egal, in welcher Familienkonstellation er sich im Augenblick befindet. Dieser Kern ist das, was uns auch der heilige Franz von Sales deutlich machen wollte, nämlich: die Gegenwart Gottes mitten unter uns, „das lebendige und aufmerksame Erfassen der Allgegenwart Gottes“: „Gott ist ja in allem und überall; es gibt keinen Ort und kein Ding, wo er nicht wirklich gegenwärtig wäre“ (DASal 1,73). Mit den Worten des Evanglisten Lukas gesprochen: „Die Gnade Gottes ruhte auf ihm.“ Genau das will uns der Evangelist deutlich mach: In all diesen Jahren, in denen Jesus heranwuchs und von denen wir eigentlich nichts wissen, in all diesen Jahren ruhte die Gnade Gottes auf ihm – lebte er in der Gegenwart Gottes, war Gott und seine Gegenwart lebendig, erfahrbar, spürbar.

Genau das wäre auch unser aller Auftrag, die wir jedes Jahr in der Weihnachtszeit das Fest der Heiligen Familie feiern: sich dieser Gnade Gottes mitten unter uns wieder bewusst zu werden. Durch die Taufe sind wir mit dieser Gnade beschenkt. Solange wir Gott nicht aus dem Haus jagen, also aus unserem Herzen, solange ist er bei uns und wir in ihm. Unsere Gefahr besteht nicht so sehr darin, dass wir Gott ablehnen – andernfalls wären wir gar nicht mehr hier und würden miteinander Gottesdienst feiern. Unsere Gefahr besteht vielmehr darin, in unserem ganz normalen Alltag auf die Gnade Gottes und seine Gegenwart in und um uns einfach zu vergessen. Genau das sollten wir so gut es geht jeden Tag verhindern, nicht nur in unseren Familien, sondern immer und überall. „Maria bewahrte alles in ihrem Herzen“, heißt es bei Lukas. Genau das sollten wir auch tun: Gott in unserem Herzen bewahren, ihn also nicht vergessen, sondern ihn wirken und seine Gegenwart spürbar werden lassen, in uns und um uns herum.

Vielleicht wäre das ja auch einmal ein besonderer Neujahrsvorsatz: Ich werde wieder beginnen, mir täglich bewusst zu machen, dass Gott bei mir ist und meinen Tag mit seiner Gnade begleitet. Amen.