Predigt zum Fest Allerheiligen (Mt 5,1-12a)
Alle heilig
Wir feiern das Fest aller Heiligen … weil es unüberschaubar viele Menschen gibt, die heilig sind, ohne je im kirchenrechtlichen Sinne heiliggesprochen worden zu sein. So gesehen feiern wir uns heute eigentlich auch selbst, weil jeder und jede von uns durch die Taufe geheiligt ist. So sieht es jedenfalls der Apostel Paulus, der sagte: Ihr seid heilig durch die Taufe, also lebt als Heilige (vgl. 1 Kor 6,11) – und er spricht die Empfänger seiner Briefe auch immer wieder als Heilige an.
Durch die Taufe sind wir also heilig – und wir könnten sogar noch weiter gehen: Jedes Geschöpf ist heilig, weil wir daran glauben, dass alles, was ist, von Gott erschaffen wurde … von dem es im ersten Buch der Bibel heißt: Gott „sah alles an, was er gemacht hat, und es war sehr gut!“ (Gen 1,31) … Das ist eigentlich nichts anderes als die göttliche Heiligsprechung der gesamten Schöpfung.
All das schwingt im heutigen Fest mit – die einzigartige, die heilige Würde eines jeden Menschen, der Tiere, der Natur, ja des ganzen Universums, weil Gott ihr Schöpfer ist. Und es schwingt auch das Ziel mit, auf das hin alles erschaffen ist: die Vollendung in der Herrlichkeit des Himmels, im Paradies, in der ewigen Gegenwart eines Gottes, der seine Schöpfung unendlich liebt. Das Lied dieser Heiligkeit singen wir übrigens bei jeder Heiligen Messe vor dem zentralen Ereignis der Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der Gott aller Mächte und Gewalten.“ Wir singen dieses Lied immer zusammen mit allen Engeln und Heiligen, die die Vollendung dieser Herrlichkeit bereits erreicht haben. Also ist eigentlich jede Heilige Messe auch immer – wenigstens für ein paar Minuten – ein kleines Allerheiligenfest.
Den Weg dorthin macht uns das heutige Evangelium deutlich: die berühmten Seligpreisungen, die uns darauf hinweisen, dass vor Gott andere Kriterien zählen als für viele Menschen. Jesus Christus preist die Armen selig, die Trauernden, die Sanftmütigen, die Gerechten und Barmherzigen, die, die ein reines Herz haben, die Frieden stiften und um seines Namens willen verfolgt werden: „Freut euch und jubelt“, sagt Jesus zu ihnen: „Euer Lohn im Himmel wird groß sein.“
So sollen wir als Heilige Gottes leben, um heilig zu werden. Viele Menschen können uns genau in dieser Hinsicht zum heiligen Vorbild werden. Der heilige Franz von Sales etwa, der ein Beispiel dafür ist, mit reinem Herzen zu leben und Gottes Angesicht zu schauen. Er lebte sein Leben und seinen Glauben ehrlich, authentisch, immer mit dem Ziel, Gott von Angesicht zu Angesicht sehen zu dürfen. „Selig die biegsamen Herzen,“ lautet ein Zitat von ihm, „denn sie werden nie brechen.“ (DASal 2,38)
Ein anderes Beispiel ist der japanische Arzt Takashi Nagai … ein Christ, der den Atombombenabwurf von Nagasaki zwar überlebte, allerdings fast seine gesamte Familie verlor und selbst ein paar Jahre später an der radioaktiven Verstrahlung starb. Der Satz, der ihn bis zum Schluss dennoch nicht verzweifeln ließ, war das Wort Jesu: „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“ Takashi Nagai wurde bis jetzt nicht heiliggesprochen, trotzdem wird er aufgrund seines hoffnungsfrohen, selbstlosen christlichen Handelns als „der Heilige von Urukami“ – das ist der christliche Stadtteil von Nagasaki – bezeichnet.
Das Fest Allerheiligen lädt uns dazu ein, über unsere eigene Heiligkeit nachzudenken – und darüber, wer für uns ein Vorbild sein kann, um dereinst in der Herrlichkeit des liebenden Gottes vollendet zu sein. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS