Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis (Mt 22,34-40)
Die Liebe fasst alles zusammen
„An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ So einfach ist also unser christlicher Glaube. Alles ist zusammengefasst unter diesen beiden Sätzen: Liebe Gott – und liebe den Nächsten wie dich selbst. Mehr ist nicht notwendig. Das ist unsere Messlatte: Liebst du Gott und liebst du deinen Nächsten wie dich selbst? Diese Frage stellt unser Glaube an uns selbst, an die Pfarrgemeinde, an die kirchlichen Amtsträger, an die Konfessionen, die Religionen, die Familien, die Politikerinnen und Politiker, Arbeiterinnen und Arbeiter, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Kunstschaffenden … Nicht mehr aber auch nicht weniger.
Gleichzeitig erkennen wir an dieser einfachen Frage allerdings auch unser heilloses Versagen und unsere Irrwege. Wie weit entfernt sind wir nur allzu oft von diesem Hauptgebot der Liebe in unserem alltäglichen Leben, in der Pfarrgemeinde, in der Kirche, in den Familien, in der Politik, am Arbeitsplatz, in Wissenschaft und Kultur. Die Ausrede, dass Liebe in der Realität nicht möglich ist, zählt nicht. Es gibt genügend Beispiele, die es geschafft haben – allen voran Jesus Christus selbst, der dieses Hauptgebot nicht nur allen in Erinnerung rief, sondern selbst bis zum Tod am Kreuz lebte. Oder der heilige Franz von Sales, der in seiner Zeit heftigster religiöser und politischer Auseinandersetzungen zum „Lehrer der Liebe“ wurde und nach dem Motto lebte: „Die Liebe allein bestimmt den Wert unseres Tuns“ (DASal 6,368) – die Liebe zu Gott, die Liebe zum Nächsten, wie zu sich selbst. „Alles gehört der Liebe, alles liegt in der Liebe, alles ist für die Liebe, alles ist aus Liebe“ (DASal 3,36).
Und gerade erst habe ich die äußerst beeindruckende Biografie über den japanischen Arzt und Wissenschaftler Takashi Nagai gelesen, der den Atombombenabwurf von Nagasaki überlebte, dann aber an den Folgen der Radioaktivität starb. Er hätte Grund genug gehabt für Rache- und Hassgedanken – gegen Gott und gegen die ganze Welt, da eine einzige Bombe sein ganzes Leben zerstörte, aber als Christ glaubte er weiter an die Liebe als die einzige Möglichkeit, dass diese Welt sich zum Guten entwickelt, sowohl in der Wissenschaft, als auch in der Politik und in der Kirche.
Völlig unverständlich ist, dass die Kriege und der Terror unserer Welt oft genug gerade von jenen Religionen unterstützt werden, die sich auf dieses Liebesgebot Gottes berufen, das die gesamte Bibel zusammenfasst: Juden, Christen, Muslime … Heilige Kriege im Namen Gottes sind jedoch unmöglich. Sie sind eine reine Lüge und haben absolut nichts mit einer dieser Religionen zu tun. Hier wird Gott und sein Gebot der Liebe von den Menschen nur missbraucht zu eigenen Machtzwecken und das auf die niederträchtigste Art und Weise.
Was können wir kleinen Geister dagegen unternehmen? Die Liebe beginnt im eigenen Haus, in der eigenen Familie und Nachbarschaft, in der eigenen Pfarrgemeinde, genauso wie der Hass, der Terror und der Krieg. Achten wir einfach darauf, dass in dem kleinen Wirkungsbereich, in dem wir leben, die Liebe das entscheidende Kriterium unseres Handelns wird, oder wie man die Schriften des heiligen Franz von Sales zusammenfassen könnte: Lebe so, dass die Menschen, denen du begegnest, spüren, dass Gott die Liebe ist. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS