Predigt zum 4. Fastensonntag (Joh 9,1. 6-9. 13-17. 34-38)
Die Zeit vergeht …
Die Zeit vergeht … Kaum hat die österliche Bußzeit begonnen, ist schon wieder mehr als die Hälfte vorüber und wir feiern den vierten Fastensonntag. Die Installation, die hier in der Kirche steht, möchte uns daran erinnern, an die Zeit, die vergeht, den Zeit-Vertreiber, die Aus-Zeit – das Nachdenken über unsere Vergänglichkeit, begleitet vom Wort des seligen Louis Brisson, dem Gründer der Oblaten des heiligen Franz von Sales: „Die Uhr tickt weiter, bis die Stunde angebrochen ist, in der wir diese Welt verlassen und in Gott aufgenommen werden, wo es keine Zeit mehr gibt.“
Vor drei Jahre konnten wir übrigens diesen vierten Fastensonntag gar nicht öffentlich feiern, so wie auch das Osterfest.
Heute ist das schon fast wieder vergessen, es ist ja glücklicherweise wieder alles normal … oder auch nicht. Aus der Pandemie wurde eine Endemie, Mittlerweile gibt neue Herausforderungen, neue Krisen, die uns bewegen. Der Krieg in der Ukraine und in vielen anderen Teilen der Welt, die Folgen des katastrophalen Erdbebens in der Türkei, die Zerstörung der Umwelt, Inflation, Teuerung, und so weiter. Die Zeit, sie bleibt nicht stehen, und jeder Tag hat seine eigenen Plagen.
Im heutigen Evangelium öffnet Jesus Christus einem Blindgeborenen die Augen. Er tut es mit einem ziemlichen Aufwand, mit Erde und Speichel und einer rituellen Waschung im Teich Schiloach.
Wir können dieses Evangelium von der Heilung des Blindgeborenen zum Anlass dafür nehmen, Gott darum zu bitten, uns und der ganzen Welt Tag für Tag die Augen zu öffnen, damit wir die Zeichen der Zeit erkennen und richtig, das heißt dem Willen Gottes entsprechend reagieren. Der Blinde von damals hat es verstanden, worum es geht, viele andere aber leider nicht. Es kommt zur Spaltung, der Sehende wird als Sünder verstoßen.
Für uns, die wir heute leben, können wir Gott bitten, dass uns nicht der Mut verlässt und dass in uns das Vertrauen lebendig bleibt, dass unser Gott Jesus Christus die Lage im Griff hat. Im heutigen Evangelium wird Jesus Christus vom Blinden, der nun sehen kann, als „Prophet“ bezeichnet, und vor allem als „Menschensohn“. Beide Begriffe weisen darauf hin, dass Jesus nicht irgendein Scharlatan ist, der den Menschen irgendwelche Verrücktheiten unterschieben will, sondern der von Gott gesandte Christus, der Retter und Erlöser, der den Menschen die Augen öffnet.
Der heilige Franz von Sales lebte dieses Gottvertrauen in jeder Lebenslage und er vermittelte dies auch allen Menschen, die er seelsorgerlich betreute. Zu seiner Zeit gab es in Europa regelmäßig Bürgerkriege, Seuchen und Hungersnöte. Seine Devise lautete immer: „Nur nicht den Mut verlieren“ und „halten Sie sich ganz nahe beim Heiland, denn sein Schatten ist heilsam.“ (DASal 6,371).
Das Interessante bei der Heilung des Blindgeborenen ist übrigens, dass es eine der ganz wenigen Heilungen ist, in der Jesus von sich aus die Initiative ergreift. Nicht der Blinde kommt auf Jesus zu und bittet um Heilung. Auch fragt Jesus ihn nicht, was willst du, dass ich dir tun soll. Jesus sieht den Blinden und beginnt mit der Heilung. Die Aufgabe des Blinden ist es, einfach zu gehorchen und alles mit ihm geschehen zu lassen, im Vertrauen darauf, dass das, was Jesus befiehlt, auch wirklich gut ist und die Augen öffnet.
Halten wir uns also ganz nahe am Herrn. Intensivieren wir unsere Gebete, denken wir an seine liebende Gegenwart und verlieren wir nicht den Mut. Gott weiß zu jeder Zeit, was er tut. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS