Predigt zum 31. Sonntag im Jahreskreis (Mt 23, 1-12)
Heuchelei oder Demut
Zum eben gehörten Evangelium passt eigentlich sehr gut ein Wort des heiligen Franz von Sales. Es lautet: „Viel tun macht vollkommen, nicht aber viel wissen.“ (DASal 2, 125).
Um gleich einmal Missverständnisse auszuräumen: Die Kritik Jesu an den Pharisäern und Schriftgelehrten richtet sich nicht gegen sie im Allgemeinen, also alle Pharisäer und Schriftgelehrten sind so und alle, die so sind, sind Pharisäer und Schriftgelehrte. Leider hat sich diese Meinung in unserer Welt so sehr gefestigt, dass das Wort „Pharisäer“ sogar zum Schimpfwort wurde. Das stimmt aber historisch nicht. Die Pharisäer und Schriftgelehrten waren zur Zeit Jesu jene, die es mit der Religion am Genauesten nahmen. Sie kannten die Bibel auswendig und wussten um alle Gesetze und Vorschriften am besten Bescheid. Sie waren die Guten, die alles wussten – und es gab sehr viele unter ihnen, ja es waren sogar die meisten, die das, was sie wussten auch tatsächlich tun wollten, sogar buchstabengetreu.
Was Jesus kritisiert, ist eine Haltung oder eine Verhaltensweise, die wir alle sehr gut kennen: nämlich die Heuchelei. Der äußere Schein ist wichtiger, als das tatsächliche Sein. Die Worte sind wichtiger als das Tun. Den anderen Vorschriften machen, ist besser, als selbst danach zu handeln. Genau wissen, was gut, richtig und wichtig ist, ist meine Sache, machen aber sollen es immer die anderen.
Unsere Gesellschaft ist eigentlich voll von solchen Verhaltensweisen. Die modernen Kommunikationsmittel haben dieses Problem im neuen Jahrtausend sogar verschärft. Die Besserwisser gehen heute viral, wie es so schön heißt, sie wissen genau, wie jedes Problem zu lösen ist, wenn es aber darauf ankommt, wenn etwas getan werden soll, sind sie plötzlich verschwunden. Unerträgliche Lasten werden geschnürt, selbst aber wird kein Finger gerührt. Alle sollen sehen, wie gut wir sind, welch tolle Ideen wir haben, und wie sehr wir im Rampenlicht stehen, was hinter der Fassade tatsächlich steckt, geht niemandem etwas an.
Vor dieser Art Heuchelei sollen wir Christinnen und Christen uns jeden Tag von Neuem hüten. Das Mittel dagegen ist ein Wort, das wir heutzutage leider kaum mehr verwenden, weil es unmodern klingt, nämlich das Wort Demut. Dieses Wort aber meint genau das, was Jesus am Schluss des heutigen Evangeliums sagt: „Der Größte von euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“
„Man muss Demut haben,“ so meint der heilige Franz von Sales, „um den Strahl des göttlichen Lichtes zu empfangen“ (DASal 9,460).
Demut ist nämlich das Gegenteil von Heuchelei: Nicht viel reden, sondern einfach handeln. Den anderen höher einschätzen, als mich selbst. Nicht immer genau wissen, was die anderen tun sollen, sondern selbst anpacken, um den anderen Lasten abzunehmen. Und natürlich die Übereinstimmung, die Authentizität zwischen meiner Frömmigkeit und meinem Leben.
Ein solches Leben macht natürlich nicht berühmt und geht auch nicht viral. Gelobt werde ich dafür ebenso nicht, es gibt dafür keine Ehrenplätze und keine besonderen Titel, allerdings werde ich mit dieser Lebensweise den „Strahl des göttlichen Lichtes“ empfangen.
Eine jede und ein jeder von uns weiß das alles ganz genau, jetzt geht es darum, dieses Wissen auch in die Tat umzusetzen. Denn, so sagt der heilige Franz von Sales: „Viel tun macht vollkommen, nicht aber viel wissen.“ Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS