Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis (Mk 10,46-52)
Herr, öffne mir die Augen …
Herr, öffne meine Augen für das wunderbare an deiner Weisung. – das ist ein Gebet aus dem Stundenbuch, das uns offenbar darauf aufmerksam macht, dass wir dazu neigen, blind zu sein für das Wunderbare unseres Glaubens.
Objektiv betrachtet ist unser Alltag ein Auf und Ab von Positivem und Negativem. An manchen Tagen geht’s drunter und drüber, an anderen scheint dann wieder die Sonne. Manchmal sind wir zu Tode betrübt, manchmal können wir vor Glück himmelhoch jauchzen. Manchmal ist Gott und das Gebet trocken und dürr, manchmal treten wir ein in eine Atmosphäre der Harmonie und des Friedens, der uns ermutigt und aufbaut.
… und manchmal sehen wir gar nichts, weil wir blind sind für das Wunderbare, das Gott uns geschenkt hat.
Wir sehen plötzlich nur noch das Negative, Schlechte, Böse und fragen uns: … wie soll man bei all dem noch an einen Gott glauben, der uns liebt und möchte, dass wir glücklich werden. Warum tut er denn dann nichts dagegen?
Und so gesehen wird diese Erzählung des blinden Bartimäus aus dem heutigen Evangelium zu einer wichtigen Erzählung für uns: Jesus, hab Erbarmen mit mir. Hilf mir, dass ich das Wunderbare des Lebens wieder sehen kann. Heiland, mache dass ich sehe, woran ich mich freuen kann, was Gutes geschieht, das mich jauchzen lässt, dich loben und preisen lässt, und sagen lässt: Danke Gott, dass ich leben darf und du mein Leben bist.
Ein Sonntag so wie heute kann uns die Augen öffnen für die Not, die es überall auf dieser Welt gibt, er kann uns aber auch den Blick öffnen, für die vielen guten Dinge, die geschehen. Er kann uns deutlich machen, dass Gott sehr wohl mit uns Menschen und mit der Welt Erbarmen hat und dass er unermüdlich am Werk ist, verborgen oder offen, um allen Menschen zur Seite zu stehen.
Der heilige Bischof und Kirchenlehrer Franz von Sales unterscheidet zwei Arten von Traurigkeit, eine böse Traurigkeit und eine gute Traurigkeit, eine Traurigkeit, die blind macht für das Gute, und eine Traurigkeit, die mir dafür die Augen öffnet.
Die „böse Traurigkeit“, sagt Franz von Sales, ist jene Traurigkeit, die mich nicht heilt, sondern mir ständig vorgaukelt, dass alles nur noch schwarz und düster ist. Die gute Traurigkeit lässt mich erkennen, dass es einen Gott gibt, bei dem ich geborgen bin, bei dem ich Erbarmen finde, auch wenn’s mir jetzt vielleicht nicht so gut geht, der mir Ruhe verschafft in den Stürmen des Lebens. Die böse Traurigkeit lacht darüber und sagt: Wo ist er denn, dein Gott? Warum schläft er und lässt dich in deinem Elend allein?
Herr, hab erbarmen mit mir, bittet der blinde Bartimäus, und die gute Traurigkeit sagt uns, dass Jesus kommt und mir Mut zuspricht und sagt: „Hab nur Mut, steh auf.“
Und in dieser Begegnung zwischen einem Menschen mit Gott sagt Jesus: „Geh! Dein Glaube hat dir geholfen.“
Inmitten der Finsternis bedeutet der Glaube jene Hilfe, die notwendig ist, damit wir wieder sehen können.
Herr, öffne mir die Augen für das Wunderbare an deiner Weisung.
Darum geht’s eigentlich im Alltag unseres Lebens. Das Wunderbare Gottes erkennen und begreifen, dass dieses Wunderbare mehr ist und stärker als alle Finsternis um uns herum. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS