Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis (Mk 10,35-45)

Macht bedeutet Dienen

„Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen.“
Was Jesus hier sagt, ist leider immer noch hochaktuell. Ein Blick auf die Welt macht deutlich, dass sehr vielen, die herrschen wollen, offenbar jedes Mittel Recht ist, um diese Macht zu bekommen oder zu erhalten: Extremismus in alle Richtungen, Krieg, Terror, Ausbeutung, Missachtung sämtlicher Menschenrechte, und seit Neuestem auch der gezielte Einsatz der sozialen Medien für Falschinformationen sind die Folge.
An all diesen Entwicklungen können wir eigentlich erkennen, wie wichtig und wesentlich das Christentum für diese Welt wäre, und wie wichtig und wesentlich es wäre, wenn all jene Machthaber und die es werden wollen, genau das berücksichtigen würden, was Jesus Christus seinen Jüngern heute klipp und klar deutlich machte: „Bei euch soll es nicht so sein. Wer bei euch groß sein will, der sei der Diener aller. Und wer der Erste sein will, der sei der Sklave aller.“
Damit haben die beiden Apostel Johannes und Jakobus sicher nicht gerechnet, als sie ganz oben sitzen wollten, direkt neben dem Herrn und Meister Jesus Christus.
Wir können es drehen und wenden wie wir wollen, dieses Prinzip gilt immer noch, und es gilt für jede und jeden, der sich Christin oder Christ nennt.
Macht ist durchaus etwas Gutes, aber nur dann, wenn sie dem Wohl der Anderen dient. Das gilt für die große politische Weltbühne, für die Machtstrukturen der Kirche, aber auch für die Gesellschaft, in der ich lebe, für eine Pfarrgemeinde, am Arbeitsplatz, in der Schule und in der Familie. Der Größte und Erste ist der, der dient. Daran erkennen wir auch, wie katastrophal die Fälle der Missbrauchsskandale für die Kirche tatsächlich sind: Sie sind nämlich das genaue Gegenteil von dem, was Jesus von seinen Jüngerinnen und Jüngern verlangt. Macht heißt Dienen, nichts sonst.
Einer, der das begriffen hat, war der heilige Franz von Sales in seiner Zeit als Bischof der Diözese Genf. Karriere machen oder ganz oben sitzen, war ihm fremd. Er wollte nicht Bischof werden, den Posten als Kardinal von Paris lehnte er ab, was ihm aber stets ein Anliegen war, war der Dienst an den Menschen, und dabei machte er keinen Unterschied zwischen den einfachen Leuten oder den Mächtigen seiner Zeit. Der Bettler wurde von ihm mit gleicher Herzlichkeit empfangen, wie der Herzog von Savoyen oder der König von Frankreich. Sein Grundsatz lautete: „Die Liebe ist das Dach … der christlichen Vollkommenheit, die Demut [also der Mut zum Dienen] ihr Fundament“ (DASal 12,322). Hierarchie bedeutete für ihn genau das, was dieses Wort heißt, nämlich „heilige Ordnung“, die nicht vom Menschen kommt, sondern von Gott. Er ist es, der die Plätze vergibt, und wer von ihm Macht bekommt, der hat auch bereit zu sein, die Leiden anzunehmen, die der Dienst für die Menschen erfordern.
Das Missionswerk der Kirche hat, wie der Sonntag der Weltmission jährlich zeigt, Gott sei Dank längst begriffen, dass nicht die Zwangsbekehrungen, sondern die Hilfe für die Ärmsten ihr vorrangiges Ziel sein muss.
Nehmen wir all diese guten Beispiele zum Anlass, darüber nachzudenken, wie wir in unseren Welten, in denen wir uns bewegen, den Aufruf Jesu verwirklichen können: „Wer bei euch der Erste sein will, der sei der Sklave aller.“ Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS