Predigt zum 2. Sonntag im Jahreskreis (Joh 1,35-42)

Um die zehnte Stunde

„Es war um die zehnte Stunde“ … die erste Begegnung mit Jesus Christus muss für die beiden Johannesjünger wirklich etwas sehr Außergewöhnliches gewesen sein, wenn sie sich sogar noch an den genauen Zeitpunkt erinnern konnten … die zehnte Stunde, also nach heutiger Rechnung um 16.00 Uhr am Nachmittag.

Wir haben es hier mit einer ganz klassischen Berufungserzählung zu tun, die uns zeigt, wie Verkündigung und Nachfolge im christlichen Sinne vonstattengehen.

Das Erste dabei ist das Hören. Die beiden Jünger hören, was Johannes der Täufer sagt: „Seht das Lamm Gottes.“ Das hat sie so neugierig gemacht, dass sie von diesem Lamm Gottes mehr wissen wollen. Sie laufen Jesus nach und dieser wird auf sie aufmerksam. „Glücklich jene, die auf das Wort Gottes hören!“, sagt deshalb auch der heilige Franz von Sales, „Gott wird sie niemals in die Irre gehen lassen“ (vgl. DASal 1,138).

Zwischen Jesus und den Jüngern kommt es dann zu einem Gespräch, von dem nur die entscheidenden Sätze berichtet werden, auf die es dem Evangelisten Johannes offenbar ankommt. Jesus fragt: „Was sucht ihr?“ – Die Jünger antworten: „Wo wohnst du?“ – Und Jesus sagt: „Kommt und seht!“

Es geht also darum, was wir suchen … und es geht darum, Jesus kennenzulernen, und zwar dort, wo er wohnt, und schließlich geht es darum, sich von ihm auch einladen zu lassen und diese Einladung anzunehmen.

Die Frage an uns lautet also: „Was suchst du?“ Ja, was suche ich in meinem Leben, in meinem Glauben, in der Kirche? Suche ich tatsächlich Jesus Christus, das Lamm Gottes, den Meister und Messias? Und wenn ja, lasse ich mich von ihm ansprechen und zu ihm nach Hause einladen: „Kommt und seht“? „Wie das Brot zu jeder Speise“, meinte einmal der heilige Franz von Sales, „so sollen wir den Heiland in all unseren Gebeten und Handlungen […] suchen.“ (DASal 1,71).

Eine solche Begegnung mit Jesus Christus hat dann natürlich Konsequenzen. Ich kann das, was ich erlebt habe, nicht für mich behalten, sondern muss es weitererzählen. Andreas erzählt es seinem Bruder Simon und er führt ihn auch zu Jesus hin. Also er erzählt nicht nur, sondern nimmt ihn mit, damit er Jesus ebenso begegnen kann.

Glaube ist also keine Privatsache, die nur mich etwas angeht, Glaubenserfahrung will weitererzählt werden, damit auch andere davon angesteckt und neugierig werden – und Glaubenserfahrung will andere einladen, die gleiche Erfahrung ebenfalls zu machen. Darin besteht unsere Sendung und wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott jene, die er sendet, auch behütet, wie es der heilige Franz von Sales einmal zum Ausdruck brachte (vgl. DASal 2,64).

Begegnungen mit Jesus können mein Leben verändern. Davon berichtet das heutige Evangelium dann ganz am Schluss: Jesus blickt Simon an und gibt ihm einen neuen Namen, und mit dem neuen Namen eine neue Funktion: Er ist jetzt Kephas, Petrus, der Fels. Diesen neuen Namen soll er nun in der Nachfolge Jesu auch leben.

Denken wir also heute ein wenig über unseren Glauben nach: Was will ich da überhaupt? Lasse ich mich von Gott einladen? Und erzähle ich meine Erfahrungen anderen so weiter, damit auch sie neugierig werden? Und schließlich: Was ist mein Auftrag, den Jesus mir gibt, meine Sendung hier und heute? Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS