Predigt zum 2. Fastensonntag (Mt 17,1-9)
Unser Unvollkommenheiten ertragen
Vor einer Woche – am 1. Fastensonntag – waren wir mit Jesus in der Wüste, wo er vom Teufel in Versuchung geführt wurde. Heute stehen wir mit ihm auf einem hohen Berg, dem Tabor, dem Berg der Verklärung. Das Gesicht Jesu leuchtet wie die Sonne, seine Kleider sind blendend weiß. Jesus erstrahlt in seiner ganzen Herrlichkeit. Und neben ihm stehen Mose und Elija. Der eine, Mose, symbolisiert das Gesetz, die Gebote Gottes, die er von Gott erhalten hat. Der andere, Elija, ist das Symbol der Prophetie in Israel: das Sprachrohr Gottes, durch das Gott den Menschen begleitet und leitet.
Es wundert nicht, dass die Apostel Petrus, Jakobus und Johannes beim Anblick dieser Herrlichkeit in Verzückung geraten und diesen Augenblick festhalten wollen. Drei Hütten wollen sie bauen, sich also auf diesem Berg niederlassen und die Herrlichkeit für immer genießen. Alles ist einfach zu schön, um wahr zu sein.
Am Höhepunkt dieser Verklärung ertönt dann noch die Stimme Gottes selbst, die Jesus Christus als den Sohn Gottes bestätigt: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören.“ Bei dieser Botschaft bleibt den Aposteln nichts anderes übrig, als sich völlig überwältigt auf den Boden zu werfen.
Das Evangelium schildert diese Szene der Verklärung Jesu in all seiner Pracht. Leuchtend wie die Sonne, blendend weiß wie das Licht – und all das in Anwesenheit der berühmtesten und wichtigsten Persönlichkeit des Volkes Gottes: Elija und Mose. Und schließlich die Bestätigung Gottes selbst: Dieser Jesus Christus ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören. Vollkommener kann man eigentlich nicht mehr berichten. Das ist die vollkommene Herrlichkeit schlechthin. Weitere Worte sind nicht mehr angebracht, da bleibt nur, sich auf den Boden zu werfen, zu schweigen und anzubeten.
Wir wissen, dass dieser Zustand der vollkommenen Herrlichkeit nur kurz gedauert hat. Der Wunsch des Petrus, diesen Augenblick für immer festzuhalten, wurde nicht erfüllt. Es ging wieder hinunter ins Tal – wo der nächste Berg wartete, nämlich der Ölberg, wo Jesus Blut schwitzte, gefangen genommen wurde, wo sein Leidensweg begann.
Momente des Glücks können für unser Leben Ansporn sein, sie sind aber weder im Leben Jesu noch in unserem Leben das Wesentliche und Entscheidende. Vielmehr kommt es darauf an, die Niederungen des Alltags zu durchschreiten, jeden Tag von Neuem. Daher sagt auch der heilige Franz von Sales: „Unsere Vollkommenheit besteht darin, dass wir unsere Unvollkommenheiten ertragen“. Natürlich dürfen wir dankbar sein und uns freuen, wenn wir immer wieder einmal ein Taborerlebnis haben dürfen, das mag uns Kraft geben, es ist aber nicht das Wesentliche. Viel entscheidender ist, jeden Tag neu zu beginnen, die Herausforderungen des Alltags anzunehmen, mit all den eigenen Unvollkommenheiten, die wir zu ertragen haben, und weiterzugehen, Schritt für Schritt, dorthin, wohin Jesus Christus uns führt.
Die zentrale Botschaft des heutigen Evangeliums lautet nicht: „Alles ist herrlich, groß und wunderbar“. Die zentrale Botschaft, die wir aus dem heutigen Evangelium in die kommende Woche der Fastenzeit mitnehmen dürfen, heißt: „Steht auf, habt keine Angst!“ Genau darum geht es in unserem Leben, in unserem Glauben, in unserer Jesus-Nachfolge: Egal was auch passiert: Steht auf, habt keine Angst. Unsere Vollkommenheit besteht darin, unsere Unvollkommenheiten zu ertragen. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS