Predigt zum 12. Sonntag im Jahreskreis (Mt 10,26-33)

Fürchtet euch nicht

Das Wort „Fürchtet euch nicht“ kommt in dieser Stelle aus dem Evangelium gleich dreimal vor … Diese Aussage bildet also den Rahmen und Kern all dessen, was Jesus Christus seinen Zuhörerinnen und Zuhörern sagen will: „Fürchtet euch nicht“.

Damit wir diese Stelle aber noch besser verstehen, müssen wir uns die Situation der ersten Christinnen und Christen in Erinnerung rufen: Sie wurden verfolgt, konnten sich nur im Verborgenen, im Dunkeln treffen, die Botschaft Jesu wurde von Ohr zu Ohr geflüstert, oft genug waren Christinnen und Christen dem Tod ausgeliefert, vor allem dann, wenn sie öffentlich und offen ein Christusbekenntnis ablegten. Ihnen sagt Jesus: „Fürchtet euch nicht!“ – Sie können zwar den Leib töten, aber nicht die Seele. Gott wacht über euch – bekennt euch offen und ehrlich zu mir, verleugnet mich nicht.

Wie aktuell diese Worte Jesu sind, machen Berichte über Christenverfolgungen der Gegenwart deutlich. Manche Statistiken meinen sogar, dass es zu keiner Zeit größere Christenverfolgungen gab als heute, z.B. in Syrien, Iran, Irak und Pakistan, Nigeria, Eritrea, Sudan und Somalia oder Nordkorea.

Papst Franziskus sagte einmal: „Es ist nicht erforderlich, in die Katakomben oder ins Kolosseum zu gehen, um die Märtyrer zu finden: die Märtyrer leben jetzt, in zahlreichen Ländern … Heute, im 21. Jahrhundert, ist unsere Kirche eine Kirche der Märtyrer.“

Auch wenn wir hier in Europa als Christinnen und Christen fast wie in einem Paradies leben und die Religionsfreiheit genießen, ja diese sogar staatlich geschützt ist, so dürfen wir doch nicht meinen, dass Christenverfolgung ein Phänomen der Vergangenheit ist. Das Gegenteil ist der Fall: Christenverfolgung ist eine Realität der Gegenwart – und daher gilt das Wort Jesu „Fürchtet euch nicht“ heute mehr denn je.

Der heilige Franz von Sales hat sich über dieses „Fürchtet euch nicht“ natürlich auch Gedanken gemacht. Er selbst war wirklich voll und ganz davon überzeugt, dass alle, die Gott vertrauen, keine Angst zu haben brauchen, vor nichts und niemanden, denn sie werden nicht verloren gehen. Einmal sagte er:

„Wie glücklich seid ihr, die ihr bewaffnet seid mit der Wahrheit Gottes, denn sie wird euch als Schild gegen die Pfeile eurer Feinde dienen … Fürchtet euch nicht, ihr Gesegneten“ (DASal 12,328).

Wir, die wir in einem Land leben, in dem wir unseren Glauben gefahrlos bekennen können, sind bei einem solchen Evangelium, wie wir es am heutigen Sonntag gehört haben, dennoch herausgefordert, darüber nachzudenken, wie wir unseren Glauben in unserer Gesellschaft, in unserer Umwelt leben. Die Fragen, die sich uns in dieser behüteten Umgebung stellen, lauten:

Bin ich solidarisch mit all jenen Christinnen und Christen in der Welt, die in diesem Augenblick verfolgt werden? Denke ich an sie? Bete ich für sie?

Eine weitere Frage lautet: Bekenne ich mich in meinem Umfeld, in meiner Familie, Freundeskreis, an meiner Arbeitsstelle, in der Schule – offen zu Jesus Christus – oder habe ich Angst, dass ich deshalb verspottet, ausgelacht, gemobbt werde?

Nütze ich die Freiheit des Glaubens, die ich in meiner Welt genieße, auch tatsächlich dazu, meine Beziehung zu Gott intensiv zu leben? Bin ich dankbar dafür, dass ich ohne Angst und Furcht beten darf?

Und schließlich: Traue ich Gott tatsächlich zu, dass er mich beschützt?

„Kein Spatz fällt zur Erde ohne den Willen des Vaters, fürchtet euch also nicht“, sagt Jesus Christus. Lassen wir dieses Vertrauen in Gott und seine Fürsorge in uns wachsen, jeden Tag von Neuem. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS