Predigt zum 10. Sonntag im Jahreskreis (Mk 3,20-35)
Familie Gottes
In diesem Abschnitt des Evangeliums, das wir soeben hörten, geht es richtig turbulent zu. Zum einen versammeln sich so viele Menschen um Jesus und seine Jünger, dass sie nicht einmal mehr essen konnten, zum anderen gibt es richtig heftigen Widerstand von der eigenen Familie, die Jesus mit Gewalt zurückholen will, weil sie meinten, er sei verrückt geworden. Und die Schriftgelehrten, die eigens von Jerusalem gekommen sind, werfen ihm vor, vom Teufel besessen zu sein. Verrückt und besessen, das sind ziemlich heftige Anschuldigungen, mit denen sich Jesus konfrontiert sieht.
Positiv kann man zu dieser Situation sagen, dass Jesus mit seinen öffentlichen Auftritten die Massen bewegt, er lässt niemanden kalt, ganz im Gegenteil. Für die einen ist er der Held, der Erlöser, der Messias, Retter und Heiland, für die anderen das verrückt gewordene Familienmitglied oder der von Dämonen Besessene.
Für uns wirken diese Beschreibungen heute wahrscheinlich eher surreal, weil wir uns über die Jahrhunderte hinweg an Jesus Christus gewöhnt haben. Seine Botschaften sind nichts Neues mehr und wir halten sie auch nicht mehr für verrückt. Damals aber war die Situation eine ganz andere. Der Sohn des Josef, ein einfacher Arbeiter, den alle kennen, spielt sich plötzlich auf, als wäre er derjenige, der genau weiß, was Gott will und was er nicht will – und dabei ist Jesus weder ein Schriftgelehrter noch ein Hohepriester. Für seine Familie, zu der damals alle Verwandten des Familienverbandes zählten und mit Schwestern und Brüder angesprochen wurden, war das eine ganz besondere Herausforderung. Nicht nur das Ansehen, sondern die soziale Sicherheit der gesamten Großfamilie stand auf dem Prüfstand. Da ist es die beste Lösung, das schwarze Schaf der Familie für verrückt zu erklären und so schnell wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen.
Vielleicht sollten wir uns heute wieder bewusst machen, dass das, was Jesus Christus vor 2000 Jahren verkündete, alles andere als harmlos war und ist. Eigentlich war das eine Revolution – eine völlige Umwälzung der bis dahin gültigen Gesellschaftsordnung.
„Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ Und Jesus selbst ist derjenige, der weiß, was dieser Wille Gottes ist. Wer also Jesus nachfolgt, gehört zu seiner Familie, zur Familie Gottes, die anderen gehören da nicht mehr dazu. Jesus stellt damit die Menschen vor die Entscheidung: ihm zu folgen, oder nicht mehr dazu zu gehören – und das gilt auch für seine engsten Familienmitglieder. Genau diese Entscheidung verlangt er noch immer: Glaube ich der Botschaft Jesu oder nicht? Bin ich bereit, Jesus auch dann zu folgen, wenn ich auf Widerstand stoße, ich vielleicht sogar für verrückt erklärt werde, oder einfach nur als weltfremd, altmodisch oder fromm abgestempelt werde.
Der heilige Franz von Sales hat diese Fragen eindeutig beantwortet und sich für Jesus Christus entschieden. Er gibt uns allen den Rat, genauso zu handeln. Einmal sagte er: „Haltet euch dicht an der Seite Jesu, dann wird alles recht werden. Lasst euch alles von ihm lehren, lasst euch in allem von ihm beraten. Er ist der treue Freund, der mit euch gehen wird, der euch lenken wird, der sich um euch annehmen wird“ (DASal 2,96).
Wer sich für Jesus entscheidet, der entscheidet sich also für den richtigen Weg und der wird von Jesus auch nicht im Stich gelassen, weil er sein Bruder, seine Schwester und seine Mutter ist. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS