Predigt zum Hochfest Maria Empfängnis (Lk 3,1-6)
Gott den Weg freiräumen
vielleicht mag es den einen oder anderen überraschen, dass ich am heutigen „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“ das Evangelium vom 2. Adventsonntag verkündet habe: Johannes der Täufer in der Wüste am Jordan, der die Menschen dazu aufruft, dem Herrn den Weg zu bereiten.
Heute fällt ja der 8. Dezember – das Hochfest der Gottesmutter – und der 2. Adventsonntag zusammen. Und ich denke, dass man beide Feste durchaus miteinander verbinden kann.
Das, was Johannes der Täufer nämlich von den Menschen fordert, das hat Gott bei Maria getan: Er hat sich in Maria den idealen Weg für seine Menschwerdung bereitet. Um diesen Vorgang zu erklären, haben wir in der deutschen Sprache leider einen Begriff, den wir nicht mehr verstehen und daher auch kaum noch verwenden: die „Erbsünde“. Auf Latein heißt dieser Begriff „peccatum originale“, also wörtlich: die „ursprüngliche Sünde“ oder die „Ur-Sünde“. Gemeint ist damit nicht irgendein genetischer Defekt, der sich von einer Generation auf die nächste weitervererbt, sondern alles, was uns von Gott trennt, alles, was Gott daran hindert, uns nahe zu kommen, also all die Steine, die wir ihm in den Weg legen.
Wenn wir uns unsere Lebenswege anschauen, dann müssen wir ehrlicherweise zugeben, dass es Gott mit uns nicht leicht hat. Wie oft vergessen wir Gott, weil uns anderes wichtiger ist? Wie oft zweifeln wir an seiner Liebe, weil wir vieles, was in unserer Welt und in unserem Leben passiert, nicht verstehen? Wie oft tun wir uns schwer, seine Gebote einzuhalten, die er uns für ein glückliches, sinnvolles und freies Miteinander mit unserer Umwelt geschenkt hat, weil wir meinen, dass wir alles besser wissen? Wie oft sagen wir einfach Nein zu Gott, obwohl er ein Ja hören möchte? Wie oft leben wir einfach so dahin, so als ob es Gott gar nicht gäbe, obwohl es keinen Ort und kein Ding gibt, in der Gott nicht gegenwärtig ist? Der Begriff „Erbsünde“ oder „Ur-Sünde“ fasst im Grunde all das zusammen, was eine persönliche, liebevolle Beziehung mit Gott, unserem Schöpfer und Lenker der Welt, stört oder behindert.
Maria war von dieser Erbsünde von Anfang an frei. Der heilige Franz von Sales hat das einmal sehr plastisch so erklärt:
„Als die reißenden Wasser der Erbsünde ihre unseligen Fluten über die Empfängnis Unserer Lieben Frau mit der gleichen Wildheit wie über alle [Menschen] zu ergießen drohten, konnten sie doch nicht weiter; sie mussten stillstehen wie ehedem der Jordan zur Zeit Josuas (Jos 3,16.17) und aus dem gleichen Grund. Der Jordan hielt seine Wogen zurück aus Ehrfurcht vor der Bundeslade, die durchziehen sollte. Ebenso hielt die Erbsünde das Weiterströmen ihrer Fluten auf aus Ehrfurcht und Furcht vor der Gegenwart des wahrhaftigen Tabernakels des ewigen Bundes“ (DASal 3,113).
Das heißt nicht, dass Maria deshalb ein sorgenfreies Leben gehabt hätte. Wir wissen, dass das nicht so war. Allein damit fertig zu werden, dass ihr Sohn als Verbrecher verurteilt und hingerichtet wird, zeigt das überdeutlich. Aber trotzdem hielt Maria an ihrem Ja zu Gott fest. Ihr Gottvertrauen wurde nicht blockiert. Sie glaubte mit ihrem ganzen Wesen und durch alle Berge und Schluchten hindurch, die sie in ihrem Leben durchwandern musste, an das, was Johannes der Täufer in der Wüste verkündete: „Alle Menschen werden das Heil Gottes schauen.“
Was ist unsere Aufgabe, hier und heute, im Advent, am heutigen Marienfeiertag? Was können wir von Maria oder auch von Johannes dem Täufer lernen? Fangen wir einfach wieder an, Gott in unserem Leben in den Mittelpunkt zu stellen. Räumen wir weg, was uns daran hindert, Gott in unserem Leben eine wesentliche Rolle spielen zu lassen. Machen wir uns seine Gegenwart mitten unter uns so oft wie möglich bewusst, öffnen wir ihm unser Herz weit, sagen wir ihm wieder neu: Ja, Gott, du bist der Gott meines Herzens, ich vertraue dir, dein Wille möge geschehen. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS