Predigt zum Franz von Sales Fest

Bei Gott ist jeder Mensch ein Wunschkind

Franz von Sales Fest 2017 (St. Anna, Wien)

Wenn wir heuer den Schwerpunkt auf den 450. Geburtstag unseres hl. Franz von Sales legen, dann ist das (für mich) eine Einladung, einmal das, was man mit der Geburt eines Menschen in Verbindung bringt, am biografischen und spirituellen Hintergrund des hl. Franz von Sales – eben „salesianisch“ – zu betrachten. Obwohl das Geborenwerden das natürlichste auf der Welt ist, ist es für uns Menschen – natürlich noch mehr für die Eltern eines Kindes – dennoch immer auch ein kleines Wunder, wenn da aus dem Verschmelzen einer Samen- und einer Eizelle ein Lebewesen entsteht, ein Mensch heranwächst, zunächst im Mutterleib und dann nach der Geburt als selbständiges Individuum, also als einzigartiges und unverwechselbares Lebewesen – als Persönlichkeit – ausgestattet mit einer einzigartigen und einmaligen DNA, an der die absolute Individualität festgemacht ist. Ja, da fängt das Wunder eigentlich schon an. Jeder Mensch von diesen 7,5 Milliarden gegenwärtig auf der Welt, sogar jedes Tier, jede Pflanze – jede/r/s ist einzigartig, keines gibt es zweimal oder absolut ident mit einem anderen. Deshalb wahrscheinlich verbinden wir auch mit der Geburt eines Menschen (von Kultur zu Kultur – von Religion zu Religion verschieden, aber trotzdem höchst bemerkenswert) eine Reihe von Ritualen, von Bräuchen und Verhaltensweisen, die wir durchaus einmal überdenken können – ich glaube, das macht Sinn – vor allem, wenn wir als Anlass dazu das Geburtstagsjubiläum eines großen Menschen feiern, der für die Kirche und im speziellen für uns hier eine wichtige Rolle spielt.

Wenn ein Mensch geboren wird, dann verbinden das die Eltern eines Kindes, das sie sich gewünscht haben und mit dem sie schließlich „schwanger“ gegangen sind, zunächst einmal mit großer, großer Freude. Das ist Fleisch von ihrem Fleisch, das ist die Frucht aus ihrer liebenden Begegnung, da beginnt ein neues Zeitalter, denn mit jedem Menschen, der geboren wird, beginnt ein neues Zeitalter – nämlich SEIN eigenes, ganz persönliches Zeitalter. Franz von Sales war ein Wunschkind und er war auch noch der Erstgeborene, also die erste Frucht aus der ehelichen Liebe seiner Eltern. Kinder empfinden das, ob sie gewollt sind, von allem Anfang ihrer Existenz an. Für Gott ist jedes Kind, ist jeder Mensch ein Wunschkind. Er freut sich über jedes entstehende Leben. Jedes Leben ist ein Beweis seiner Schöpfungskraft, ein Beweis seines Atems, den er in die Materie „hineingeblasen“ hat, ein Beweis, dass seine Worte Leben erzeugen. Wenn Gott spricht, dann entsteht Leben; Leben, das Göttliches in sich trägt. Der Mensch als Krone der Schöpfung kann dies auch erkennen, seine Seele ist fähig, Gott, ihren Schöpfer zu erkennen als den, der das Leben will und liebt, weil er selbst das Leben ist. Leider erfahren auch genügend Menschen auf dieser Welt von ihren Eltern, dass sie nicht gewollt sind, lediglich passiert sind. Darunter leiden solche Menschen ihr ganzes Leben. Gott liebt aber auch sie, wahrscheinlich liebt er sie sogar ganz besonders. Wenn wir die Worte Jesu bedenken, wenn es um das eine Schaf von hundert geht, das Gott unablässig sucht, wenn es um den verlorenen Sohn geht, den Gott in die Arme schließt, als er wieder heimkehrt. Mir ist selbst um die von ihren Eltern ungeliebten Menschen nicht bange, wenn sie einen Gott für sich finden, der ihnen das Defizit dieser Liebe zwar anders aber doch auffüllen kann. So kann selbst ein ungeliebter Mensch seine ganze innere Schönheit, die Gott in ihn hineingelegt hat, voll entfalten.

Franz von Sales war eine Frühgeburt, hatte ganz großes Glück, dass er durchkam. Gott sei Dank gab es da Umstände und vor allem Personen, die es ermöglichten, dass er trotz der vielen Komplikationen überlebte. Wenn ein Mensch geboren wird, dann verbinden das die Eltern und Verwandten – bei Franz von Sales ganz besonders – mit vielen Wünschen und Erwartungen. Schließlich geht ein neuer Stern auf, und der soll möglichst hell leuchten. In Franz von Sales ging schließlich ein Stern auf, der den Menschen viel Licht gab, göttliches Licht: Wohlwollen, Erbarmen, Liebenswürdigkeit, Sanftmut und Geduld. Das ist es, was die Gnade Gottes in einem Menschen bewirken kann, wenn auch seine Lebensaussichten zunächst einmal ganz gering sind. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass seine Kernbotschaft sich selbst und den Menschen gegenüber hieß: Hab guten Mut! Gib nicht auf! Selbst wenn du noch so oft fällst, bleib nicht liegen, denn du hast die Kraft in dir, immer wieder aufzustehen und deinen Weg ein Stück weiterzugehen. Die Wünsche seiner Eltern, vor allem seines Vaters, waren für ihn keine schlechte Herausforderung, stürzten ihn sogar in eine schwere Krise. Seine mutige Antwort darauf: wenn ich auch all den Anforderungen oder Zweifeln, die mich heimsuchen, nicht Herr werden kann – ich will Gott trotzdem lieben, weil ER mich zuerst geliebt hat; solange ich einen freien Willen habe und mich frei entscheiden kann, will ich Gott lieben, egal was kommen mag. Auf diesem Fundament seines Glaubens ließen sich die Wünsche seines Vaters schließlich so integrieren, dass er sich nicht verbiegen oder gegen seinen Willen leben musste, sondern seiner persönlichen Berufung, nämlich Gott und der Kirche zu dienen, ganz nachgehen konnte. Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade – das wird oft zitiert. Man könnte aus heutiger Sicht allerdings behaupten, dass die Zeilen des Franz von Sales, auf denen Gott geschrieben hat, eigentlich gar nicht so krumm waren. Schließlich war er ein Adeliger, war er gut versorgt, konnte studieren und auch seine eigenen Träume träumen. Dennoch war sein Leben auch gezeichnet von vielen Unstimmigkeiten – wie das bei jedem menschlichen Leben wohl der Fall ist, denn ich glaube, dass es niemanden gibt, der ausschließlich auf die Butterseite des Lebens gefallen ist. Natürlich wissen wir, dass es einen Unterschied gibt zwischen einer existentiellen Not, in der es um das nackte Überleben geht (das betrifft leider einen großen Teil der Menschheit), und einer Not, die vielleicht NUR einen gewissen Bereich unseres Wohlseins (Wohlbefindlichkeit) und unserer Lebenswünsche betrifft (wie das bei uns im Wohlstand Lebenden oft der Fall ist). Dennoch wissen wir, dass sich bei jedem Menschen – ob arm oder auch reich – sehr schnell das Blatt wenden kann, dass plötzlich Terror, Rassismus, Sexismus, Krieg, Ausgrenzung, Unfall, Krankheit oder gar Todesgefahr unser Leben schnell in die existentielle Not und Betroffenheit führen kann.

Wenn ein Mensch geboren wird, dann wird er immer auch in eine Welt hineingeboren, die er sich nicht aussuchen kann. Das neue Leben wird hineingeboren in Umstände, die stimmig und daher fördernd sind, aber auch in Umstände, die unstimmig und daher die Entfaltung zum Selbst, zum ganzen Menschen, behindern oder gar unterbinden. Schon das Neugeborene lernt Überlebensstrategien, um letztlich nicht unterzugehen. Salesianisch betrachtet heißt Leben mehr als bloßes Überleben. Überlebensstrategien allein erfüllen einen Menschen nicht, machen ihn nicht zufrieden geschweige denn seelisch gesund. Franz von Sales nutzt die Fähigkeit seines Geistes, befreit von den vielen negativen Gottesbildern seiner Zeit einen liebenden Gott zu suchen und er findet auch diesen liebenden Gott – den in die Menschen verliebten Gott. „Ich fand, den meine Seele liebt, und ich lasse ihn nicht mehr los, damit ich ihn nicht mehr verliere.“ Dieses Wort aus dem Hohenlied (AT) inkarnierte sich in ihm, fleischte sich in ihm ein. Und es bewirkte Großes, wie es bei jedem Menschen Großes bewirken kann. Denn es ist der Schlüssel für die Gnade Gottes, die selbst einen Besen zum Blühen bringen kann. Daher ist kein Umstand, kein Elend, kein Pech, kein Schicksal irgendein Grund, die je eigene Berufung und Entfaltung zur gelungen Persönlichkeit zu behindern. Von Jesus selbst erfahren wir in den vielen Begegnungen mit kranken und verzweifelten Menschen, dass, wer sich auf Gott verlässt, nicht im Stich gelassen wird. Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein – und wenn du auch noch so viel falsch gemacht hast. Es ist der Gott des menschlichen Herzens, den Franz von Sales gefunden hat und den er uns in seinen unzähligen Schriften und Briefen verkündet. Dieser Gott will heilen, nicht verletzen, will befreien und nicht ängstigen, will selbst die verborgenen Fähigkeiten aus ihrem letzten Versteck holen und zur vollen Entfaltung bringen. Werde, was du bist! Und Franz sagt noch dazu: und werde es ganz!

So wollen wir dankbar sein, dass wir diesen Menschen, der vor 450 Jahren geboren wurde, heute noch kennen. Weil er das, was in seiner DNA und in den Umständen seiner Zeit grundgelegt war, mit der Gnade Gottes zur vollen Entfaltung gebracht hat. Gott gebe es, dass jede/r von uns ihren/seinen Schlüssel zu dieser von Gott bereiten Gnade finden möge. Amen.

P. Provinzial Thomas Vanek OSFS