Predigt zum 5. Fastensonntag (Joh 11,3-7. 17. 20-27. 33b-45)

Der Gott des Lebens

Dieses Evangelium der Auferweckung des bereits vier Tage toten und verwesenden Lazarus macht uns sehr eindrucksvoll darauf aufmerksam, dass unser Gott, an den wir glauben, ein Gott des Lebens ist und nicht ein Gott des Todes.

Jesus Christus ist gekommen, damit wir das Leben haben und zwar in Fülle, in Vollendung. Wörtlich sagt er uns: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.“

Spätestens seit der Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus wissen wir, dass dieses Leben in Vollendung nicht nur den Menschen gilt, sondern der gesamten Schöpfung … alles, was Gott erschaffen hat, ist nicht für den Tod bestimmt, sondern für das Leben auf ewig.

„Das Universum“, so schreibt der Papst, „entstand nicht als Ergebnis einer willkürlichen Allmacht,“ oder gar bloß aus reinem Zufall oder aus dem Chaos heraus. Im Gegenteil: „Die Liebe Gottes ist der fundamentale Beweggrund der gesamten Schöpfung.“

Fast genauso formuliert es übrigens der heilige Franz von Sales, wenn er schreibt: „Haben sie keine Angst vor dem Tod, denn die Liebe Gottes zerstört nicht, sie vollendet.“

Wenn das nun alles stimmt, wenn der liebende Gott ein Gott des Lebens ist, dann hat das natürlich Konsequenzen für unseren Glauben und noch mehr für unsere Einstellung zum Leben.

„Glaubst du das?“ wird Marta von Jesus gefragt … und er stellt diese Frage heute einer jeden, einem jeden von uns. Wenn wir nun wie Marta mit Ja antworten – „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes“ –, dann sagen wir damit auch Ja zum Gott des Lebens und wir sagen Ja zu allem, was dem Leben dient. Der Schutz des Lebens und der Umwelt ist daher keine christliche Randerscheinung, sondern gehört ganz wesentlich zur Mitte unseres Glaubens.

Das höchste Fest der Christenheit ist das Osterfest. Bei diesem Fest feiern wir Jesus Christus, der den Tod besiegt und das Leben neu geschaffen hat … wir feiern also das Leben, das stärker ist als jeder Tod, und wir trotzen damit allem, was lebensfeindlich, tödlich und zerstörerisch ist.

„Die Schönheit des Himmels“, so meinte Franz von Sales in einer Predigt, „lädt die Menschen ein, die Größe der Schöpfung zu bewundern und dieses Wunder zu verkünden“ (DASal 9,352).

Am 5. Fastensonntag werden in den Kirchen normalerweise die Kreuze mit einem Tuch verhüllt. Dieses Symbol will uns daran erinnern, dass vieles, was wir als ganz Selbstverständlich ansehen, es ganz und gar nicht ist. Die Erlösungstat Jesu am Kreuz und seine Auferstehung am Ostermorgen ist nicht selbstverständlich, weil wir das seit 2000 Jahren Jahr für Jahr so gewohnt sind, sondern dieses Erlösungswerk bleibt das wunderbare und einzigartige Zeichen seiner Liebe. Heute können wir diese Kreuzverhüllung auch als Mahnung betrachten, dass auch das Leben, ja die gesamte Schöpfung nichts Selbstverständliches ist, sondern ein Zeichen dafür, dass Gott ein Gott des Lebens ist und möchte, dass wir das Leben seiner gesamten Schöpfung achten und schützen. Das diesjährige Misereor Hungertuch stellt uns nicht nur die Frage: „Was ist uns heilig?“ – sondern auch: Wie gehen wir mit dem um, was uns eigentlich heilig sein sollte, weil es uns von Gott geschenkt ist … mit unserem Leben, mit unserer Erde, mit der Schöpfung. Nützen wir die Zeit bis Ostern dazu, darüber nachzudenken, damit wir am Osterfest wirklich aus ganzem Herzen sagen können: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Gott des Lebens bist und willst, dass wir das Leben haben, das Leben in Vollendung. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS