Predigt zum 26. Sonntag im Jahreskreis (Mk 9,38-48)
Mühlstein um den Hals
Wahrscheinlich gefallen uns die Worte, die Jesus da im eben gehörten Evangelium verwendet, nicht. Mühlstein um den Hals und ins Meer werfen … Hand abhauen, Fuß abhauen und das Auge ausreißen. Jener Jesus, der von Liebe spricht, schöne Bilder und Gleichnisse erzählt und eine heilsame Wirkung ausstrahlt, dieser Jesus gefällt uns wahrscheinlich besser.
Leider aber haben sich die Warnungen, die Jesus da mit seinen Worten ausspricht, als durchaus berechtigt herausgestellt, und sie sind leider äußerst aktuell.
Die deutsche Übersetzung verwendet den Begriff „Ärgernis“. Im griechischen Original steht der Begriff „skandalon“ – also Skandal. Und was ein solcher Skandal für Wirkung haben kann, das erleben wir in der Gegenwart auf höchst schmerzliche Art und Weise.
Seit Jahren sind wir mit den Missbrauchsskandalen konfrontiert, die die katholische Kirche aber auch andere christliche Konfessionen erschüttern: Sexueller Missbrauch, körperlicher Missbrauch, geistlicher Missbrauch. Über viele Jahre wurden all diese Dinge vertuscht, verharmlost oder die Schuld gar den Opfern gegeben, während die meisten Täter straffrei blieben. Mittlerweile ist das Gott sei Dank anders geworden, aber die Aufarbeitung dieses Skandals, die Opferentschädigungen und die Präventionsmaßnahmen werden die Kirchen noch sehr lange beschäftigen. Die Glaubwürdigkeit ist zerstört, und es ist durchaus verständlich, dass aus diesem Grund sehr viele Menschen mit Kirche nichts mehr zu tun haben wollen. Kritik an der Kirche gab es immer, die an die Öffentlichkeit gekommenen Missbrauchsskandale der letzten Jahre hat dieser Kritik jedoch ein völlig neue Dimension gegeben. Sie lässt sich nämlich mit nichts entkräften, es gibt dagegen keine Gegenargumente.
Ich glaube, Jesus Christus hat das gewusst – und daher mit diesen ungewöhnlich scharfen Worten auf jeden Skandal reagiert, der durch seine Jüngerinnen und Jünger verursacht wird. Das darf schlicht und einfach nicht sein und gehört ausgemerzt, weil es absolut gegen all das steht, was Jesus Christus verkündet.
Wir kennen den heiligen Franz von Sales als den sanftmütigsten und herzlichsten aller Heiligen, den Lehrer der Liebe, der uns Toleranz und Barmherzigkeit beibringt. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Als Bischof hat er sehr wohl sehr scharf reagiert, wenn ihm Skandale zu Ohren kamen, besonders von Priestern und Ordensleuten. Einmal zum Beispiel reagierte er darauf mit folgenden Worten: „Ich werde nicht aufhören zu drängen, ja sogar zu schreien …, dass man Maßnahmen ergreife für die Reform“ der Klöster, „die in dieser Provinz Brutstätten des Ärgernisses geworden sind.“ (DASal 8,33).
Die meisten kirchlichen Verantwortlichen haben mittlerweile gelernt – und die Aufarbeitung all der Skandale hat auch durchaus etwas Gutes. Es gibt jetzt nicht nur die unterschiedlichsten Maßnahmen gegen jede Form des Missbrauchs und für den Opferschutz, jeder Christin und jedem Christen müsste nun auch klar geworden sein, dass die Versuchung zur Macht etwas Teuflisches ist und mit der Botschaft Jesu nichts zu tun hat. Ganz im Gegenteil … Papst Franziskus etwa sagte erst letzten Sonntag (22.9.2024) bei seiner Mittagsansprache auf dem Petersplatz: „Jesus lehrt uns, dass die wahre Macht nicht in der Herrschaft der Stärksten besteht, sondern darin, sich um die Schwächsten zu kümmern. Wenn du groß sein willst, mach dich klein und diene den anderen.“
Genau das möchte uns Jesus auch durch seine scharfen Worte des heutigen Evangeliums vom Mühlstein um den Hals, dem Hand- und Fußabhacken und dem Augenausreißen deutlich machen. In der Kirche darf es nicht um Macht gehen, sondern nur um das Dienen. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS