Predigt zum Franz von Sales Fest (Lk 1,1-4; 4,14-21)

Johanna Franziska von Chantal und Franz von Sales

Aus einem Brief des heiligen Franz von Sales an die heilige Johanna Franziska von Chantal vom 14. Oktober 1604:

Meine sehr liebe Schwester, bedenken Sie, dass mir Gott vom ersten Augenblick, da Sie mir Einblick in Ihre Seele gewährten, eine große Liebe zu ihr gab. Deshalb schrieb ich Ihnen, dass Gott mich Ihnen gegeben habe. Jede Liebe hat ihre Besonderheit, wodurch sie sich von jeder anderen unterscheidet. Jene, die ich zu Ihnen hege, hat dies an sich, dass sie mich unendlich erfreut und – um alles zu gestehen – von größtem Nutzen für mich selbst ist. Glauben Sie mir das! Es ist die volle Wahrheit.
Dies soll die Grundregel unseres Gehorsams sein: Ich schreibe sie in großen Buchstaben: ALLES AUS LIEBE TUN UND NICHTS AUS ZWANG! MEHR DEN GEHORSAM LIEBEN, ALS DEN UNGEHORSAM FÜRCHTEN! – Ich lasse Ihnen den Geist der Freiheit; nicht jenen, der den Gehorsam verneint, denn dies ist die Freiheit des Fleisches, sondern jenen, der Zwang, Skrupel und Hast ausschließt.
Gott sei Ihr Herz, Ihr Geist, Ihre Seele, meine sehr teure Schwester, und ich bin Ihr sehr ergebener Diener Franz von Sales, Bischof von Genf.

Die heilige Johanna Franziska, die Baronin von Chantal, war neunundzwanzig Jahre alt, als ihr Ehemann bei einem Jagdunfall tödlich verunglückte. Das war für sie nicht nur ein großer Schock, von einem Tag auf den anderen war sie auch alleinerziehende Mutter von vier Kindern im Alter von einem halben Jahr bis fünf Jahren und Verwalterin eines Schlosses mit den umliegenden Ländereien. Das war in einer von Männern dominierten Welt alles andere als einfach. In dieser schwierigen Situation befand sie sich, als sie dem heiligen Franz von Sales begegnete und sich seiner geistlichen Begleitung anvertraute, aus der eine in der Kirchengeschichte wirklich einzigartige geistliche Freundschaft entstand. Die beiden unterstützten sich gegenseitig, die Herausforderungen des Lebens zu meistern, in allem nicht den Mut zu verlieren und den Glauben zu leben.

Der Brief, den wir heute zur Lesung gehört haben, war einer der ersten, den Franz von Sales an Johanna Franziska schrieb. Dieser enthält die mittlerweile berühmt gewordenen Grundregel einer jeden geistlichen Begleitung im Sinne des heiligen Franz von Sales: „Alles aus Liebe tun, und nichts aus Zwang, mehr den Gehorsam lieben, als den Ungehorsam fürchten.“ Der Brief dokumentiert auch die hohe Wertschätzung und Liebe, die diese beiden Heiligen füreinander hatte.

Einige Jahre später gründeten sie die Ordensgemeinschaft der Schwestern von der Heimsuchung Mariens, heute auch „Salesianerinnen“ genannt. Johanna Franziska wurde die erste Oberin. Und nach dem Tod des heiligen Franz von Sales führte sie dieses gemeinsame Werk mit großem Erfolg weiter … Am Ende ihres Lebens gab es bereits 87 Klostergründungen der Heimsuchung.

Heute, am 23. Jänner, ist der 450. Geburtstag von Johanna Franziska, die viel weniger bekannt ist, als Franz von Sales. Trotzdem muss man sagen, dass wir sehr viel von dem, was wir von Franz von Sales wissen und was von ihm heute noch erhalten ist, ihr verdanken. Und daher ist es durchaus angebracht, dass wir heute am Fest des heiligen Franz von Sales auch einmal an sie erinnern.

Im heutigen Evangelium war vom Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu die Rede. Von seiner ersten Predigt in seiner Heimatstadt Nazareth. „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, den Menschen die frohe Botschaft zu bringen.“

Dieses Sendungsbewusstsein, getragen und begleitet vom Heiligen Geist die frohe Botschaft Jesu zu verkünden, ist uns allen durch die Taufe geschenkt. Eine jede und ein jeder von uns ist dazu berufen, mit seinen und ihren Fähigkeiten und Talenten, dort wo er oder sie lebt und arbeitet, Zeugnis für Jesus Christus zu geben. Franz von Sales hat diese Berufung als Bischof, Kirchenlehrer, Mystiker, Prediger und Schriftsteller gelebt. Johanna Franziska sah ihre Berufung darin, diese salesianische Spiritualität, die sie von Franz von Sales erlernte, für die Nachwelt zu erhalten. Sie tat dies durch die Herausgabe seiner Briefe, Predigten, Geistlichen Gespräche und weiteren Schriften, aber vor allem durch das Zeugnis ihres Lebens. Was war das vor allem?

Johanna Franziska hat in ihrem Leben viel Leid erfahren, nicht nur den tragischen Tod ihres Ehemannes. Bereits als einjähriges Kind verlor sie ihre Mutter. Fünf von ihren sechs Kindern, die sie geboren hatte, musste sie auch zu Grabe tragen … und Franz von Sales selbst, der für sie achtzehn Jahre lange ihr vertrautester Wegbegleiter war. Es wundert nicht, dass sie sehr oft von Glaubenszweifeln und Dunkelheiten geplagt wurde. Dennoch hat sie bis zu ihrem Lebensende nicht aufgegeben, an die frohe Botschaft des Gottes der Liebe zu glauben und darauf zu vertrauen, dass dieser Gott der Liebe, so unbegreiflich er auch sein mag, sie trotz allem begleitet, führt und trägt.

In einem Brief schreibt sie einmal: „Ich bin fest davon überzeugt, dass sich alles zu unserem Besten wenden wird, denn Gott ist unsere Hoffnung. … Wenn es ihm gefällt, wird er uns helfen.“ (I,179)

Dieses Gottvertrauen auch in schweren Stunden hat sie vom heiligen Franz von Sales gelernt, dessen Motto als Bischof lautete: „Wer auf Gott vertraut, wird niemals untergehen“. Lassen wir Gott seine Größe, und diese Größe heißt Unbegreiflichkeit.

Dieses Gottvertrauen können wir heute mitnehmen, wenn wir am Franz von Sales Fest den 450. Geburtstag Johanna Franziska von Chantals mitfeiern und uns an die Freundschaft dieser beiden Heiligen erinnern. Diese beiden Heiligen Franz von Sales und Johanna Franziska von Chantal sind ein Beispiel dafür, dass es möglich ist, sich miteinander im Glauben auch in den größten Herausforderungen des Lebens zu stärken und zu tragen. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS