Predigt zum 3. Fastensonntag (Lk 13,1-9)

Die Geduld Gottes

Wenn Jesus Christus Bilder und Gleichnisse verwendet, dann sollten wir uns fragen, was an diesem Bild normal ist und was ungewöhnlich, damit wir das, was Jesus mit diesem Bild zu Ausdruck bringen will, besser verstehen.

Ein Beispiel dafür ist der Feigenbaum aus dem heutigen Evangelium. Völlig normal ist, dass der Feigenbaum in einem Weinberg steht. Normal ist auch, dass dieser Feigenbaum Früchte tragen soll – sogar zweimal im Jahr, die Frühfeigen und die Sommerfeigen. Tut der Feigenbaum das nicht, dann ist es völlig normal, dass dieser Baum vom Weinbergbesitzer aus dem Weinberg entfernt wird, denn Feigenbäume beuten den Boden aus und entziehen somit den Weinstöcken wertvolle Nährstoffe. Soweit ist also in dem Gleichnis alles normal. Nun aber wird es ungewöhnlich. Es ist nämlich nicht normal, dass neben dem Weinbergbesitzer auch noch ein Weingärtner auftaucht, der sich für den fruchtlosen Feigenbaum einsetzt, ja dafür sogar den Boden auflockern und düngen will. Das tat man normalerweise nicht. Feigenbäume wurden nicht gedüngt, weil es nicht notwendig war. Ungewöhnlich ist es daher auch, dass der Weinbergbesitzer diesem außergewöhnlichen Vorschlag des Gärtners sogar zustimmt.

Die Deutung dieses Gleichnisses war also für die damaligen Zuhörerinnen und Zuhörer relativ klar. An der ungewöhnlichen Art, wie Jesus von diesem fruchtlosen Feigenbaum erzählt, will er uns die große und auch ungewöhnliche Geduld deutlich machen, die Gott mit uns Menschen hat. Gott gibt uns immer wieder eine Chance, ja er kümmert sich sogar darum, dass unser Boden gut aufbereitet und gedüngt wird, obwohl das gar nicht notwendig wäre. Diese Chance, die uns die Geduld Gottes gewährt, so sagt das Gleichnis ebenfalls, diese Chance sollten wir nützen.

Fastenzeit ist Bußzeit … Das heißt, es ist die Zeit, in der wir wieder einmal darüber nachdenken sollten, in wie weit wir in unserem Leben und in unserem Glauben fruchtbar sind oder nicht, und ob es etwas gibt, das wir ändern sollten.

Franz von Sales meint: „Bei der Schöpfung befahl Gott den Pflanzen, Frucht zu tragen, jede nach ihrer Art. So gibt er auch den Gläubigen den Auftrag, Früchte der Frömmigkeit zu tragen; jeder nach seiner Art“ (DASal 1,37). Wir haben also eine Aufgabe zu erfüllen, die uns von Gott gegeben ist – je nach unseren Fähigkeiten und Talenten, die er uns geschenkt hat. Die Fastenzeit stellt uns die Frage: Geht es uns mit dieser Aufgabe gut? Setze ich meine Fähigkeiten und Talente, die Gott mir gegeben hat, für seinen Weinberg ein, bringe ich die notwendigen Früchte hervor, oder nicht?

Am Beginn des heutigen Evangeliums ist von zwei großen Katastrophen die Rede, die die Frage aufwerfen, wer denn daran Schuld sei und ob das die Strafe Gottes für die Sünden war. Jesus macht dabei deutlich: Diese Fragen sind ohne Bedeutung, denn niemand ist vollkommen, jede und jeder begeht Fehler und Sünden. Wir sollten also nicht nach der Schuld der anderen fragen, sondern uns selbst, wie wir mit unseren Stärken und mit unseren Fehlern umgehen, ob wir sie auf fruchtbare Weise in den Dienst Gottes stellen oder nicht, und entsprechend unserer Antworten sollten wir uns bekehren.

Diese Chance der Bekehrung, der Umkehr, des Neuanfangs, des Besserwerdens sollten wir jeden Tag von Neuem nützen und die Geduld Gottes, die er mit uns hat, nicht allzu lange oder allzu oft auf die Probe stellen. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS