Predigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis (Mt 18,21-35)

Herausforderung Vergebung

Als ich das erste Mal über das eben gehörte Evangelium predigen musste, nannte ich zwei ganz konkrete Beispiele dafür, was es bedeuten kann, siebenundsiebzig mal siebenmal zu vergeben. Da diese Beispiele ortsbekannt waren, spürte ich, wie es plötzlich unter den Leuten zu knistern begann. Da wurde mir zum ersten Mal klar, dass eine Predigt mehr ist als ein frommes Wort zum Sonntag, sondern tatsächlich einschlagen kann wie ein Blitz.

Es war damals auch das erste Mal, dass ich später einen Anruf bekam, in der mich einer der Zuhörer heftig kritisierte. „Wie können sie nur so etwas sagen! Sie wissen ja überhaupt nicht, worum es in diesen Fällen wirklich geht. Hören sie auf in Zukunft solchen Blödsinn zu verzapfen.“

Damals hat mich diese Kritik ziemlich aufgewühlt. Heute aber denke ich mir, dass diese Reaktion trotzdem gut war. Sie zeigte mir nämlich: Die Menschen haben gespürt, dass die Worte Jesu nicht bloß frommes Gerede sind, sondern wirklich mit dem konkreten Leben hier und heute etwas zu tun haben. Diese Worte treffen mich, mein Leben … und sie können auch weh tun.

Denkt jetzt einmal ein wenig an die Menschen, die ihr kennt. Und jetzt sucht euch einmal jenen aus, den ihr am wenigsten leiden könnt. Ein Nachbar, ein Verwandter, ein Bekannter, ein Arbeitskollege … Und jetzt stellt ihr Jesus die Frage: „Jesus, wie oft muss ich diesem Menschen verzeihen?“ …. Und Jesus antwortet euch: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal, das heißt: immer.

Wenn wir Jesus in unserem Leben ernst nehmen, dann müssen wir, auch wenn es uns furchtbar schwerfällt, zumindest bereit und offen dafür sein, selbst unserem schlimmsten Feind zu verzeihen … und zwar immer, weil auch Gott mir verzeiht, wie wir heute gehört haben:

„Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich so angefleht hast. Hättest nicht auch du mit jenem, der gemeinsam mit dir in meinem Dienst steht, Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?“

Mir ist schon klar: Konflikte gehören zum Leben dazu, Streit, Beleidigungen, Fehler und Schwächen. Manchmal ist diese Wut und dieser Zorn über erlittenes Unrecht auch durchaus angebracht. Trotzdem: Unser Hass, unsere Wut und unser Zorn über welchen Menschen auch immer dürfen nicht so groß sein, dass ich nicht mehr bereit bin, ihm zu vergeben.

Genau dieser Meinung ist Jesus Christus und er lehrt es uns im Vater unser, das wir so oft beten: „Vergib und unser Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Als Jesus seinen Jüngern dieses Gebet lehrte, ist übrigens interessant, dass er nachher keinen einzigen Satz des Vater unsers näher erklärte, sondern nur diesen einen von der Vergebung. Und er sagt da: „Denn wenn ihr euch untereinander nicht vergebt, dann kann euch euer Vater im Himmel auch nicht vergeben.“ Offenbar war es Jesus wirklich wichtig und ernst mit diesem Gebot des Vergebens.

Und wenn wir uns einmal vor Augen halten, wie viel in unserem Leben, in unserer Umgebung, in der Welt gestritten wird … wo es nur noch um Rache und Rechthaben geht, dann wird auch bald sehr klar, warum Jesus dieses Vergeben so wesentlich und wichtig war. Nicht-Verzeihen-Wollen ist die Wurzel sehr vieler Übel und Ursache von einer Unmenge an Leid, das wir uns anders hätten ersparen können.

Der heilige Franz von Sales empfiehlt uns selbstverständlich genauso wie Jesus die ständige Bereitschaft zur Vergebung. Auch ihm ist klar, dass das nicht immer leicht ist. Wovor er uns allerdings eindringlich warnt, ist Folgendes:

„Gefallen an Gedanken der Rache haben und … Freude daran zu haben.
Dem Nächsten oder sich selbst aus Hass oder Missgunst … ein namhaftes Übel wünschen. …
sich über das Unglück des anderen freuen; über sein Glück betrübt sein; sich gegen ihn empören, und … nicht mit ihm sprechen wollen.
Den Nächsten beschimpfen und beleidigen; ihn verwünschen und verachten, dazu raten oder anstiften, dass ihm Böses zugefügt wird …Sich erzürnen und in großen Zorn hineinsteigern ….
Das Unrecht nicht vergeben und dem die Beleidigung nicht verzeihen wollen …..“ (DASal 12,236)

Vergebung bleibt ein ständiges Bemühen, eine ständige Herausforderung. Weil Gott immer bereit ist, uns die größten Schulden zu verzeihen, sollten auch wir dazu bereit sein – und zwar nicht nur siebenmal, sondern siebenundsiebzig Mal, das bedeutet: IMMER. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS