Predigt zum 1. Fastensonntag (Mt 4,1-11)
Teuflische Versuchungen
Der erste Fastensonntag führt uns in die Wüste. Dort erlebt Jesus die berühmten drei Versuchungen: die Macht über den Hunger, die Macht über den Tod und die Macht über alles und jeden. Absolute Macht also wird Jesus angeboten, und zwar vom Teufel persönlich – wenn er sich vor ihm niederwirft und ihn anbetet.
Diese allmächtigen Versuchungen sind also teuflisch. Das macht uns die Wüstenerfahrung Jesu nur allzu deutlich.
Und diese Versuchungen sind bis heute mehr als lebendig. Sie begegnen uns jeden Tag in den vielen Krisen unserer Welt: Krieg, Terror, Ausbeutung, Missbrauch: gegen den Menschen, gegen die Natur. Der Blick auf die großen Schlagzeilen über die Welt sollte uns allerdings nicht daran hindern, auch auf unsere kleine Welt des alltäglichen Lebens zu blicken. In mir und um mich herum: Lauern da auch diese teuflischen Versuchungen, Macht zu haben über andere?
Die Fastenzeit lädt uns ein, darüber wieder einmal nachzudenken. Wo stelle ich mich selbst über die anderen? Wo vergesse ich auf das Wohl der anderen, weil ich zu sehr nur mein eigenes Wohl im Blick habe? Wo sind immer nur die anderen Schuld, weil ich mir die eigenen Fehler nicht eingestehen will? Wo sind meine kleinen Machtspielchen versteckt, die mich besser, größer, stärker erscheinen lassen?
Der heilige Franz von Sales hat all diese Fragen im Zusammenhang mit der wahren und der falschen Frömmigkeit gestellt. Er beschreibt dabei etwas, das bis heute eigentlich nichts an Aktualität verloren hat:
„Wer gern fastet, hält sich für fromm, weil er fastet, obgleich sein Herz voll Rachsucht ist. Vor lauter Mäßigkeit wagt er nicht, seine Zunge mit Wein, ja nicht einmal mit Wasser zu benetzen, aber er schrickt nicht davor zurück, sie in das Blut seiner Mitmenschen zu tauchen durch Verleumdung und üble Nachrede.
Ein anderer hält sich für fromm, weil er täglich eine Menge Gebete heruntersagt, obwohl er nachher seiner Zunge alle Freiheit lässt für Schimpfworte, böse und beleidigende Reden gegen Hausgenossen und Nachbarn.
Der eine entnimmt seiner Geldbörse gern Almosen für die Armen, aber er kann aus seinem Herzen nicht die Liebe hervorbringen, seinen Feinden zu verzeihen. …
Gewöhnlich hält man alle diese Menschen für fromm, sie sind es aber keineswegs … In Wirklichkeit besitzen sie nur den Schein der Frömmigkeit“ (DASal 1,33).
Wahre Frömmigkeit tut zuallererst das, was auch Jesus in der Wüste dem Teufel sagt: Egal, was auch immer geschieht, „den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.“
Tun wir das, dann werden wir auch jeder Versuchung zu jeglicher Art von Machtmissbrauch widerstehen, weil wir wissen: Gott allein ist mächtig, niemand und nichts sonst. Gott allein ist der Herrscher der Welt, ihm allein gebührt Ehre, Macht und Lobpreis. Unsere Aufgabe besteht darin, Gott zu dienen, in dem ich seinen Willen erfülle.
Die vierzig Tage der österlichen Bußzeit geben uns jedes Jahr die Chance, unser eigenes Machtgefüge, in dem wir leben, wieder zurechtzurücken, indem ich Gott in meinem Leben wieder ins Zentrum rücke und ihm die erste Stelle einräume – und zwar in allem, in meinem Herzen, in meiner Familie, in meinem Bekannten- und Freundeskreis, am Arbeitsplatz und im Kirchenraum, weil wir daran glauben, dass nur so Ostern werden kann. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS