Predigt zum 2. Sonntag der Weihnachtszeit (Joh 1,1-5.9-18)
Gottes Unbegreiflichkeit
Die Naturwissenschaft geht davon aus, dass es vor etwa 14 Milliarden Jahren zum Urknall kam und daraus das Universum entstand. Etwa 10 Milliarden Jahre später entstand aus einer rotierenden Wolke aus Gas und Staub die Erde. Die ersten Menschen erschienen dann vor etwa 2,5 Millionen Jahren. All das sind Zahlen und Zeiträume, die sich niemand so richtig vorstellen kann. Wer näher darüber nachdenkt, der kann einerseits nur darüber staunen, andererseits aber erkennt er seine eigene Winzigkeit, ja Bedeutungslosigkeit angesichts dieser unvorstellbaren Dimensionen. Kein Wunder also, dass sich der Mensch, seit er denken kann, mit diesen drei Grundfragen der Menschheitsgeschichte beschäftigt: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und was ist der Sinn des Ganzen?
Der Johannesprolog, den wir soeben gehört haben, ist eine Antwort auf diese Fragen. Es ist nicht die Antwort eines Naturwissenschaftlers, auch nicht die eines Philosophen, sondern die Antwort eines Christen, der in Worte fassen wollte, was er vor etwa 2000 Jahren auf einem unbedeutenden Fleck Erde drei Jahre lang mit einem Menschen namens Jesus von Nazaret erlebte:
Im Anfang war das Wort und das Wort war Gott. Alles ist durch Gott geworden. In ihm war das Leben und das Licht der Menschen. Dieses Licht kam in die Welt, das Wort wurde Fleisch und hat unter uns gewohnt. Es kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen es nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden und die Herrlichkeit zu schauen, Gnade und Wahrheit.
Woher kommen wir? Das Leben, also auch das menschliche Leben kommt von Gott. Gott ist der Ursprung alles Seienden. Dass wir existieren, ist also kein Zufall, sondern entspricht einem göttlichen Plan, einer göttlichen Ordnung.
Wohin gehen wir? Das Ziel allen Lebens ist die Schau der göttlichen Herrlichkeit. Wir steuern also nicht auf ein bodenloses, finsteres Nichts zu, sondern auf die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.
Und was ist der Sinn von all dem? Es ist das fleischgewordene Wort Gottes, das Licht, das die Finsternis unserer Unwissenheit erhellt: Jesus Christus.
Mit diesen Worten versuchte der Evangelist Johannes die drei Grundfragen des Menschen zu beantworten: In Jesus Christus, der zum Tod verurteilt und gekreuzigt wurde, finden wir die Antworten auf die Fragen, woher wir kommen, wohin wir gehen und was der Sinn all dessen ist.
Unzählige Philosophinnen und Philosophen, Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler, Theologinnen und Theologen haben sich seither immer wieder diesen Fragen gestellt. Viele neue Erkenntnisse kamen hinzu, dazu technische Hilfsmittel, die es erlauben, die endlosen Weiten des Universums genauso zu erforschen, wie die kleinsten Bestandteile einer Zelle, um dem Leben auf die Spur zu kommen. Die Antwort des Evangelisten Johannes hat sich dadurch weder erübrigt, noch als falsch herausgestellt, sie ist bis heute gültig:
Im Anfang war Gott, er hat alles erschaffen, das Ziel des Lebens ist seine Herrlichkeit und der Sinn des Ganzen ist Jesus Christus, das Fleisch gewordene Wort Gottes.
Selbstverständlich soll sich der Mensch immer wieder von Neuem fragen, woher er kommt, wohin er geht und was der Sinn von all dem ist. Angesichts der gewaltigen Dimensionen, die in diesen Fragen stecken, ist das nur verständlich. Ungelöste Fragen haben eben eine ganz besondere Anziehungskraft. Für uns gläubige Christinnen und Christen sollte allerdings immer gelten, was der heilige Franz von Sales einmal so schön zum Ausdruck brachte:
„Die Beweggründe der göttlichen Vorsehung wären sehr armselig, würden wir kleinen Geister sie einsehen … Vielleicht soll uns dies … ein Ansporn sein, Gott über alles erhabene Wissen zu bewundern“ (DASal 3,225).
Lassen wir also Gott seine Größe, und diese Größe heißt Unbegreiflichkeit. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS

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