Predigt zum Pfingstfest (Joh 20,19-23)
Die Wirkkraft des Heiligen Geistes
Gott ist da. „Gott ist in allem und überall; es gibt keinen Ort und kein Ding, wo er nicht wirklich gegenwärtig wäre“, so meint der heilige Franz von Sales (DASal 1,73). In der hohen Theologie nennen wir diese göttliche Präsenz in unserer Welt, in unserer Zeit und in unserem Leben den Heiligen Geist, also die dritte göttliche Person, die Kraft des göttlichen Wirkens. Franz von Sales nennt diese Kraft schlicht und einfach: Liebe. Und das ist dann auch sein Gottesbeweis: Überall dort, wo du Liebe spürst, dort spürst du Gott. Oder umgekehrt, weil man in dieser Welt Liebe spürt, gibt es Gott, denn Gott ist Liebe. Und den Heiligen Geist beschreibt Franz von Sales als „das Band der Liebe zwischen Gott Vater und Gott Sohn“ (DASal 11,139).
Weil Liebe aber ein so großes Wort ist, das leider sehr oft missbräuchlich verwendet wird, haben sich im Laufe der Zeit viele andere Bilder und Wörter gefunden, die diese liebende göttliche Wirkkraft mitten unter uns beschreiben.
Im Evangelium von heute etwa kommt das Wort „Friede“ vor, den Jesus seinen verschreckten Jüngern wünscht: „Der Friede sei mit euch“. Also: Überall dort, wo Friede konkret wird, überall dort wirkt der Heilige Geist.
Oder der Hauch, der Atem … Jesus haucht seine Jünger an, heißt es im Evangelium. Überall dort, wo Leben, wo Lebendigkeit spürbar ist, dort wirkt der Heilige Geist.
Dann die Vergebung. „Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen“, sagt Jesus. Überall dort, wo vergeben und verziehen wird, dort wirkt der Heilige Geist.
Die Gaben des Heiligen Geistes sind vielfältig … Weisheit, Kraft und Stärke, Erkenntnis, Einsicht, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Überall dort, wo diese Gaben sichtbar werden, wirkt der Heilige Geist mitten unter uns. Und dieses Wirken kann völlig unterschiedlich sein: Manchmal stürmisch, dann wieder still und im Verborgenen, manchmal feurig brennend, dann wieder sensibel, fast unbemerkt im leisen Säuseln.
Die Apostel in Jerusalem merken das Wirken des Heiligen Geistes vor allem daran, dass sie plötzlich den Mut und die Energie haben, hinauszugehen auf die Straßen und Plätze und von Jesus Christus zu erzählen. Mit Staunen stellen sie dabei fest, dass diese Botschaft von allen Menschen, egal mit welcher Muttersprache, verstanden wird.
Ein sehr beliebtes Bild für den Heiligen Geist war über viele Jahrhunderte der „Trost“. „Der du der Tröster wirst genannt“, heißt es in der fast tausend Jahre alten Pfingstsequenz, also in jenem lateinischen Messgesang, mit dem die Gemeinde um den Beistand des Heiligen Geistes bittet. Daher wurden früher auch viel Spitäler und Pflegeheime unter den Schutz des Heiligen Geistes gestellt. Wer Trost erfährt oder Trost spendet, der spürt in diesem Trost das Wirken des Heiligen Geistes.
Im Glaubensbekenntnis, das in diesem Heiligen Jahr 2025 den 1700. Geburtstag feiert, also dem Großen Glaubensbekenntnis, das im Konzil von Nicäa formuliert wurde, da wird der Heilige Geist als Gott beschrieben, der lebendig macht, und der durch Propheten spricht. Überall dort, wo Worte gesprochen werden, die dem Leben dienen, dort wirkt der Heilige Geist.
Wo also kann ich heute den Heiligen Geist als göttlich liebende Wirkkraft spüren? Überall dort, wo ich Liebe spüre … wo Frieden ist, Leben, Vergebung, Weisheit, Kraft, Stärke, Erkenntnis, Einsicht, Frömmigkeit, Gottesfurcht, Mut, Begeisterung, Energie, Sensibilität, Stille und Trost. Und all das ist nur ein Bruchteil dessen, wie der Heilige Geist mitten unter uns gegenwärtig ist. Aber diese wenigen Begriffe allein machen uns schon deutlich, wie wichtig und wertvoll es für uns ist, jedes Jahr das Pfingstfest zu feiern, damit wir uns an das Wirken Gottes in unserer Welt wieder neu erinnern. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS