Predigt zum Fest Kreuzerhöhung (Joh 3,13–17)

Wo Gottes Liebe spürbar wird

Im Leben des heiligen Franz von Sales und der heiligen Johanna Franziska von Chantal spielte die Verehrung des Kreuzes eine besondere Rolle.

Einmal hatte ich die Gelegenheit, im Salesianerinnenkloster in Annecy, südlich des Genfer Sees, dort wo diese beiden Heiligen begraben sind, jenen Raum zu betreten, in dem viele Gegenstände aus dem Leben der beiden Heiligen aufbewahrt werden. Dabei fiel mir ein Kreuz auf, das dort ganz zentral aufgestellt war. Ich fragte, was es den mit diesem Kreuz auf sich habe. Und die Schwestern erzählten mir, dass dies das persönliche Kreuz der heiligen Johanna Franziska von Chantal ist. Dieses Kreuz stand bereits im Arbeitszimmer ihres Schlosses und war eines der wenigen Gegenstände, die sie mit ins Kloster nahm. Vor diesem Kreuz hat sie immer gebetet, vor allem in den schwersten Stunden ihres Lebens: nach dem tragischen Unfalltod ihres Ehemannes, dem Tod ihrer Kinder – fünf von ihren sechs Kindern musste sie zu Grabe tragen – dem Tod des heiligen Franz von Sales, der achtzehn Jahre lang ihr vertrautester Wegbegleiter war, und in ihren vielen Stunden, in denen sie gegen ihre Glaubenszweifel und -dunkelheiten ankämpfte, wo sie sich wie Jesus am Kreuz fragte: Mein Gott, wo bist du? Warum hast du mich verlassen? Wie kannst du all das zulassen? Du bist doch der Gott der Liebe, aber ich spüre dich nicht … und doch halte ich an dir fest, mit der ganzen Kraft, die ich noch aufbringen kann.

Dass dieses Kreuz nach vierhundert Jahren immer noch existiert, hat mich sehr beeindruckt und mir auch wieder deutlich gemacht, was Kreuzverehrung bedeutet.

Der heilige Franz von Sales, der sogar ein ganzes Buch zur Verteidigung der Kreuzverehrung geschrieben hat, predigte einmal: „Wir verehren das Kreuz nie anders als in der Absicht, den Gekreuzigten zu ehren … Wenn ihr das Kreuz anschaut, sollt ihr stehts den Gekreuzigten an ihm sehen.“ (DASal 9,60).

Bei der Kreuzverehrung geht es also nicht um die Verharmlosung eines grausamen Folterwerkzeugs, sondern immer um Jesus Christus, den Gekreuzigten, der aus Liebe zu uns Menschen all dieses Leid auf sich nahm, um uns zu erlösen. So sehr hat Gott die Welt geliebt, hieß es im heutigen Evangelium, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit wir nicht verloren gehen, sondern gerettet werden und das ewige Leben haben. Im Blick auf das Kreuz wird uns diese Liebe deutlich und wir erkennen, dass Leid und Tod nicht das letzte Wort haben, sondern das Leben in Vollendung, das ewige Leben in Gottes liebender Gegenwart.

Der heilige Franz von Sales rät uns deshalb immer wieder: „Halten wir uns ganz zu Füßen des Kreuzes!“ (DASal 5,221) Dort können wir Gottes Liebe spüren, dort können wir Hoffnung schöpfen und Kraft tanken für die Herausforderungen des Lebens.

Erinnern wir uns daran, wenn wir in unserem Alltag einem Kreuz begegnen: in den Kirchen und Kapellen, an den Straßen und Wegen, auf den Friedhöfen und natürlich in unseren Häusern und Wohnungen. Jedes Mal haben wir beim Anblick dieser Kreuzesdarstellungen die Gelegenheit, unsere Anliegen, die uns beschäftigen, Gott hinzulegen und anzuvertrauen. Und es gibt vieles, was wir Gott erzählen können: die großen Anliegen der Welt um Frieden und Bewahrung der Schöpfung, bis hin zu den persönlichen Anliegen, die uns beschäftigen. Zu Füßen des Gekreuzigten können wir sicher sein, dass wir sehr gut gehört und erhört werden.

Noch ein abschließendes Wort des heiligen Franz von Sales. In einem Brief schrieb er: Vergessen Sie nie diese Wahrheit: „der sicherste Weg der Frömmigkeit läuft zu Füßen des Kreuzes.“ (DASal 6,102). Halten wir uns also zu Füßen des Kreuzes, vor allem dann, wenn wir wollen, dass Gott uns Kraft schenkt, die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS