Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit (Joh 13,31.33a.34-35)
Liebe ist …
Liebe ist ein sehr großes Wort. Es gibt deshalb auch unzählige Definitionen, die beschreiben, was Liebe ist. Manche dieser Erklärungen widersprechen sich sogar, und viele Erklärungen werfen mehr Fragen auf als Antworten: Ist Liebe mehr ein Gefühl oder mehr ein Tun? Ist Liebe ein ethischer oder ein moralischer Wert, ist sie eine philosophische Größe, ein theologisches Konstrukt, eine göttliche Tugend? Oder eben nur ein Wort, das man am besten gar nicht gebraucht, weil es ohnehin nur missbräuchlich verwendet wird?
Für uns Christinnen und Christen zählt natürlich das am meisten, was von Jesus Christus verkündet wird. Er sagt: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“
Wir müssen also auf Jesus schauen, wenn wir wissen wollen, was Liebe ist und wie wir lieben sollen. Jesus wendet sich dabei vor allem jenen zu, die am Rande stehen: Nicht die Mächtigen oder die großen Persönlichkeiten der Gesellschaft sind das Ziel seiner Liebe, sondern die Kleinen, die Armen, Kranken, Ausgestoßenen und Sünder, ja sogar seine Feinde, also jene, die ihn kritisieren, beschimpfen, die seinen Tod wollen. Seine Liebe liebte eben auch dann, als es weh tat, auf dem Kreuzweg bis hin zum Tod am Kreuz. Seine goldene Regel lautet: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen!“ (Mt 6,12). Und kurz vor seinem Tod sagte er: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13).
All das sind tatsächlich sehr große Vorgaben für jene, die dieses Gebot, das Jesus uns im heutigen Evangelium mitgibt, verwirklichen wollen: Liebt einander so, wie Jesus geliebt hat. Dieses neue Gebot bleibt unser Ziel, selbst wenn wir meinen, dass es unerreichbar ist. Dennoch sollten wir nicht aufhören, diesem hohen Ziel Schritt für Schritt und jeden Tag von Neuem näher zu kommen.
In diesem Heiligen Jahr 2025 könnten wir es ja einmal mit der Hoffnung versuchen. Wir sollen Zeichen der Hoffnung sein für jene Menschen, die wenig oder keine Hoffnung haben. Auch das ist eine Form der Liebe, so wie Jesus liebte: Hoffnung schenken durch Zeichen der Hoffnung.
Der neu gewählte Papst Leo XIV. hat in seinen ersten Worten als Papst das Wort „Friede“ in den Mittelpunkt gestellt. Sich für den Frieden einsetzen, miteinander in Frieden leben, auch das ist eine Form der Liebe, so wie Jesus liebte.
Die salesianische Spiritualität, die wir vom heiligen Franz von Sales erhalten haben, ist eine zutiefst liebevolle Art und Weise, den Glauben im Leben zu verwirklichen. Er stellte dabei die Liebe so sehr in den Mittelpunkt, dass er heute sogar „Lehrer der Liebe“ genannt wird. Grund dafür ist, weil er Gott selbst als Liebe erkannte, so wie es der Evangelist Johannes in seinem 1. Brief beschreibt: „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt ihn Gott und Gott bleibt in ihm“ (1 Joh 4,16) Salesianisch leben heißt daher leben in der Gegenwart dieses liebenden Gottes, und das auf eine liebevolle, herzliche und barmherzige Weise, damit die Menschen, denen ich begegne, diesen Gott der Liebe durch mich ebenfalls spüren und erfahren können.
Der heutige Sonntag lädt uns also dazu ein, wieder einmal darüber nachzudenken, was dieses neue Gebot, das Jesus uns gab, bedeutet und wie ich es in meinem Leben konkret verwirklichen kann: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS