Predigt zum 16. Sonntag im Jahreskreis (Lk 10,38-42)
Freundschaft mit Jesus
Marta und Maria, diese beiden Schwestern waren besonders gute Freundinnen Jesu, dazu kam natürlich auch noch deren Bruder Lazarus. Ihr Haus in Betanien, ganz in der Nähe von Jerusalem, stand Jesus jederzeit offen. Und Jesus besuchte seine Freunde oft und gerne.
Das ist das erste wichtige Thema des heutigen Evangeliums. Es geht um Freundschaft und Gastfreundschaft und darum, dass diese beiden Tugenden für den christlichen Glauben von großer Bedeutung sind. Außerdem geht es um die Frage: Ist meine Beziehung zu Jesus eine freundschaftliche Beziehung? Wenn Jesus in mein Haus kommt, in meine Wohnung, in meine Familie, in mein Leben, ja in mein Herz, wird er sich da genauso wohl fühlen und angenommen wissen, wie bei Marta, Maria und Lazarus?
Der heilige Franz von Sales empfiehlt uns, dass wir uns die Gegenwart Gottes mitten unter uns genauso vorstellen sollen: Jesus kommt zu Besuch, er öffnet die Tür, er begrüßt uns wie seine Freundinnen und Freunde, er setzt sich zu uns und wir hören auf das, was er uns sagen möchte (vgl. DASal 1,74).
Das zweite Thema des heutigen Evangeliums ist das unterschiedliche Verhalten der beiden Schwestern Marta und Maria. Und hier ist es als erstes wichtig, dass beide Schwestern davon überzeugt sind, dass sie mit ihrem Tun Jesus eine Freude machen, sodass er sich in ihrer Mitte wohlfühlt. Marta, indem sie Jesus umsorgt, Maria, indem sie zu seinen Füßen sitzt und seinen Worten zuhört. Problematisch wird es erst, als Marta ihre Schwester kritisiert und von Jesus verlangt, dass er Maria zurechtweist. Zum Konflikt kommt es also erst, als Marta auf ihre Schwester Maria eifersüchtig wird. Und genau da sagt Jesus: Liebe Marta, mach dir doch nicht so viele Sorgen um mich. Komm her, setzt dich zu mir, und höre mir genauso zu wie Maria. Das ist genauso notwendig, wenn nicht sogar notwendiger. An einer anderen Stelle sagt Jesus etwas ähnliches: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“ (Mt 4,4).
Beides gegeneinander ausspielen wollen, das eine als wichtiger als das andere betrachten, ist jedenfalls falsch.
Wir Menschen tendieren sehr leicht dazu, die Aktion für wichtiger zu erachten als die Kontemplation. Das Tun ist wichtiger als das Hören, das Handeln wichtiger als das Gebet. Wir neigen zum Aktionismus, und weniger dazu, einmal einfach still zu sein, in uns zu gehen und Gott in uns wirken zu lassen.
Jesus sagt uns heute: Beides ist wichtig und notwendig. Ja, genau betrachtet, ist sogar das Hören auf das Wort Gottes das wichtigere, weil es dir hilft, dein Handeln in die richtigen Bahnen zu lenken, nicht zu übertreiben und dich nicht zu überfordern. Vor allem bewahrt dich das Hören auf das Wort Gottes vor Neid und Missgunst gegenüber deinen Mitmenschen.
Gottesliebe und Nächstenliebe sind ein einziges Hauptgebot, sie gehören zusammen. Wer den Nächsten liebt, liebt Gott, wer Gott liebt, liebt den Nächsten. Das eine wie das andere ist wichtig und wertvoll, wir dürfen sie nicht gegeneinander ausspielen, sondern sollten stets versuchen beides in unserem Leben zum Blühen zu bringen.
Der heilige Franz von Sales meint: „Setze der Liebe keine Schranken, lasse sie ihre Äste ausbreiten, so weit sie nur kann. Was für die Gottesliebe gilt, das gilt auch für die Nächstenliebe; doch muss die Liebe zu Gott den Ton angeben“ (DASal 2,67).
Dass all das unsere Marta und unsere Maria sehr wohl begriffen haben, erkennen wir an ihrem Verhalten beim Tod ihres Bruders Lazarus. Da sagt Jesus zu Marta: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt … Glaubst du das?“ Und Marta antwortet: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes“ (Joh 11,25-27). Marta ist also die erste Frau, die Jesus wie der Apostel Petrus als Christus, den Sohn Gottes, bekennt. Und dann geht sie zu ihrer Schwester Maria und sagt ihr: „Der Meister ist da und lässt dich rufen.“ Als Maria das hört, steht sie sofort auf und geht zu ihm (Joh 11,28-29). Maria hat also kein Problem, aktiv zu werden, wenn Jesus das will.
Marta und Maria haben also verstanden, dass beides wichtig ist: die Aktion genauso wie die Kontemplation, das Handeln und das Hören auf das, was Gott uns sagen will, damit wir das Leben haben, das Leben in Fülle. Das eine gegen das andere ausspielen, das ist es, was wir vermeiden sollten. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS