Predigt zum 15. Sonntag im Jahreskreis (Lk 10,25-37)

Der barmherzige Samariter

Seit seiner Wahl beeindruckt Papst Franziskus die Welt durch seine persönliche, menschenfreundliche Art und teils unorthodoxen Verhaltensweisen. Selbst die Medien sind von ihm begeistert, wie schon lange nicht mehr von einem Papst. Dieser Papst Franziskus hat Ende 2015 ein außergewöhnliches Heiliges Jahr ausgerufen, das Jahr der Barmherzigkeit. Als Begründung sagte er, er selbst habe gespürt, dass dafür gerade jetzt der ideale Zeitpunkt gekommen sei. Es tut der Welt und der Menschheit gerade jetzt gut, die Bedeutung der Barmherzigkeit für unseren Glauben und unser Leben wieder wachzurufen.

Unter anderem erinnert er auch an jenen Abschnitt des Evangeliums, den wir gerade gehört haben: Ein Gesetzeslehrer will Jesus auf die Probe stellen und fragt: Was muss ich tun, um das Ewige Leben zu gewinnen. Jesus verweist auf das Gesetz: Du sollst Gott lieben, mit ganzem Herzen, ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst. Für den Gesetzeslehrer ist das nicht neu, dennoch scheint eine Sache unklar zu sein: „Wer ist mein Nächster?“ Und auf diese Frage hin erzählt Jesus vom Barmherzigen Samariter, einem Ausländer, der sich eines unschuldigen Opfers eines Raubüberfalls auf offener Straße auf unkonventionelle Weise annimmt. Der einfach hilft, weil er einen Menschen in Not sieht, im Gegensatz zu einem Priester und einem Leviten, also im Gegensatz zu jenen, von denen man es eigentlich am meisten hätte erwarten können. Am Schluss fragt Jesus: „Wer hat nun die Nächstenliebe geübt?“ Die Antwort ist eindeutig: „Der, der barmherzig gehandelt hat.“ Und Jesus gibt den Auftrag: „Also, geh, und mach es genauso.“

Mit dieser Episode und diesem Auftrag wird die Barmherzigkeit zur Grundlage unseres Glaubens, zum Fundament einer jeden Theologie und zum wesentlichen Kriterium dafür, ob ein Gesetz oder eine Handlung gut zu nennen ist oder nicht.

Was will Jesus Christus damit deutlich machen? Weil Gott zu uns Menschen barmherzig ist, deshalb müssen auch wir im Umgang miteinander barmherzig sein, zu den anderen und zu uns selbst. An einer anderen Stelle im Evangelium, nämlich in der Feldrede, bringt Jesus sein Anliegen auf den Punkt. Dort sagt er: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater im Himmel ist“ (Lk 6,36).

Papst Franziskus verwendet oft sehr griffige, und damit sehr verstehbare Formulierungen. Er nennt diese Fokussierung auf die Barmherzigkeit die „Revolution der Zärtlichkeit“. Es ist notwendig, so meint er, dass die Menschen durch uns Christen, durch unser barmherziges Handeln, die Zärtlichkeit Gottes spüren können. Das Opfer des Raubüberfalls, von dem das Evangelium berichtet, spürt diese Zärtlichkeit durch das Mitgefühl des Samariters, durch das Verbinden der Wunden, durch das ganzheitliche Umsorgen des Leidenden. Er kümmert sich um ihn, obwohl es ihm auch einiges kostet. Und damit wird er zum Vorbild und Beispiel für jeden, der Christus nachfolgen will.

Es braucht nicht extra erwähnt werden, dass auch der heilige Franz von Sales diesem Beispiel gefolgt ist, sowohl in seinen Taten, als auch in seinen Worten. „Haben Sie unbegrenztes Vertrauen, dass Gottes Barmherzigkeit und Güte Sie nie verlassen wird“, schreibt er in einem Brief an Johanna Franziska von Chantal (DASal 5,45). Und er fordert dazu auf, dass eine jede und ein jeder von uns, diese Barmherzigkeit und Güte an sich selbst und an die anderen weitergibt, damit auch sie Gottes Barmherzigkeit erfahren. „Geh hin, und handle genauso.“ Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS