Predigt zum 28. Sonntag im Jahreskreis (Lk 17,11-19)

Sei dankbar

Soeben haben wir von den zehn Aussätzigen gehört, die von Jesus geheilt werden. Ihr Leben war bereits zu Ende. Aussatz war nicht nur unheilbar, er schloss die Erkrankten aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr aus der Gesellschaft aus. Aussätzige waren lebendige Tote ohne Hoffnung. Jesus heilt sie und schenkt ihnen damit eine neue Lebensperspektive. Dass da nur ein einziger auf die Idee kommt, sich bei Jesus zu bedanken, ist wirklich überraschend.

Der heilige Franz von Sales empfiehlt uns in seinem berühmten Buch „Anleitung zum frommen Leben – Philothea“ Folgendes: „Bemühe dich, Gott zu erkennen und ihm dankbar zu sein.“ (DASal 1,49)

So lade ich jetzt dazu ein, dass wir einmal darüber nachdenken, wo wir in unserem Leben Gott erkennen. Konzentrieren wir uns dabei nicht auf die großen Ereignisse, suchen wir nicht nach unerklärlichen Wundern, die mein Leben veränderten, wo ich danach sagte: „Da hab ich wirklich Glück gehabt.“ Schauen wir vielmehr auf die kleinen Dinge, auf unseren ganz gewöhnlichen Alltag, auf die Selbstverständlichkeiten, die jeden Tag geschehen: das Aufstehen, die Wohnung, die Arbeit, die Begegnungen, die Blitzlichter des Guten, das freundliche Lächeln, das nette Wort, ein Anruf, ein Besuch, das Essen und Trinken, die Luft, die ich atme … Sie sind da, sie begleiten mein Leben jeden Tag, sie passieren ganz selbstverständlich.

Erkenne ich in all diesen kleinen Dingen das Wirken Gottes – und bin ich dankbar dafür? Wenn man genau darüber nachdenkt, müsste man sagen: Jeder Atemzug, den ich mache, ist ein Geschenk Gottes, jeder Herzschlag, jeder Schritt, jedes Wort, jeder Blick.

Stephan Sigg, ein Schweizer Jugendbuchautor, schrieb einmal folgendes Gebet:

„Im Zug.
Ich starre durch das regennasse Fenster,
die Landschaft eilt an mir vorbei,
wie gestern, wie morgen, wie übermorgen,
die ganz normale Alltäglichkeit, und doch,
auf einmal wieder ganz deutlich vor Augen:
die vielen Wunder, die du gemacht hast:
die Tropfen, die gegen die Scheiben prasseln,
die Bäume, die sich im Sturm biegen,
die Felder, die Wiesen, voller Farben,
die Wolken, die weiterziehen, um Platz zu machen,
für einen blauen Himmel, für sie Sonne,
für einen neuen Tag.
Danke, dass du alles so wunderbar gemacht hast!“

„Dein Glaube hat dich gerettet!“ sagt Jesus am Schluss des heutigen Evangeliums. Auch dafür können wir Gott dankbar sein, dass wir in der Lage sind, zu glauben, dass wir diesen Glauben leben dürfen, feiern dürfen, aufgehoben sind in der Gemeinschaft der Kirche, der Pfarrgemeinde, dass wir mit all dem eine Hoffnung haben, die weitergeht als unser irdisches Leben. All das sind keine Selbstverständlichkeiten, sondern Anlässe, dankbar zu sein und jeden Tag von Neuem Gott Danke zu sagen.

„Bemühe dich, Gott zu erkennen, und ihm dankbar zu sein.“ (DASal 1,49) Nehmen wir uns diesen Rat des heiligen Franz von Sales wieder einmal zu Herzen. Seien wir nicht wie die Mehrheit, sondern seien wir wie der eine, der umkehrt, der Gott lobt, sich vor die Füße Jesu wirft und sich bei ihm bedankt. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS