Predigt zur Oblatenwallfahrt 2025

In allem, etwas von Gott sehen

Gerne würde ich mit Ihnen über den Grund unserer Gründung vor 150 Jahren ein wenig nachdenken. Also: warum und wozu gibt es die Oblaten des hl. Franz von Sales? Ich möchte nicht auf die geschichtlichen Fakten eingehen, sondern nur ein paar inhaltliche Aspekte aufgreifen.

Beginnen könnte ich mit einer Zitrone:

Stellen Sie sich vor, Sie halten eine wunderschöne, gelbe Zitrone in Ihren Händen und riechen daran: leicht säuerlich. Sie schneiden sie in zwei Hälften. Nun riechen Sie deutlicher und intensiver das Säuerliche. Und dann stellen Sie sich vor, wie Sie herzhaft hineinbeißen … Wenn man sich das intensiv vorstellt, können zwei Dinge passieren: man verzieht das Gesicht, und man zuckt leicht mit dem Körper.

So geht es vielen von uns, wenn wir über die heutige Welt sprechen und nachdenken. Es schüttelt uns ein wenig, manchen graut sogar davor. Die Ungerechtigkeiten, die Konflikte und das Leid. Dann ist es ein Leichtes Pessimist zu sein und Zyniker zu werden.

Wie schafft man es, ohne das Leid und die vielen Probleme zu ignorieren, froh zu sein über jeden neuen Tag; wie kann man trotzdem heute das Leben genießen, Freude erlauben und erleben, fehlerfreundlich mit sich und anderen umgehen, sich selbst und anderen etwas gönnen, auch einmal über die Stränge schlagen – und dabei nicht gleich ein schlechtes Gewissen bekommen?

Wie schafft man es, sich nicht von den Schlagzeilen in den Zeitungen überwältigen zu lassen? Wie schafft man es, sich mit kleinen Dingen zufrieden zu geben, immer mehr liebenswert zu werden und optimistisch als Mensch zu bleiben?

Es gibt zwei salesianische Antworten. Sie bilden die Grundlage für alles andere.

Die erste Antwort: Es gibt in allem etwas Positives / Schönes zu entdecken.

Jede Zitrone ist nicht nur sauer und bitter. Ein Mensch ist nie nur böse, eine Handlung immer nur falsch, ein Kind nur verspielt. Wirtschaft ist nicht nur Profit, Politik nicht nur korrupt, die Gesellschaft nicht nur gespalten. Krankheit ist nicht nur Leiden, Zukunft ist nicht nur düster …

weil in allem auch ein Kern von etwas Gutem steckt, ein Kern von Wahrheit, ein Potential zum Wachstum, ein Aufruf für Veränderung, … weil in allem Gott gegenwärtig ist.

Es ist der Glaube an die Gegenwart Gottes, der alles verändert. Der Glaube an einen Gott, der auch dort gegenwärtig ist, wo wir ihn zunächst nicht vermuten. Gott ist überall dort, wo wir arbeiten, wo wir feiern, wo wir zusammenkommen, bei unseren alltäglichen Sorgen und den üblichen Kleinigkeiten.

Wissen Sie wo Hecklingen ist? Es hat nur ca. 860 Einwohner und liegt ungefähr 30 km von Freiburg im Breisgau entfernt. Dort haben Pfarrer und Ministranten und das ganze Dorf mit Feuerwehr, Musikkapelle und Schützenbruderschaft vor Jahren eine Bittprozession abgehalten – nicht wegen des Wetters, nicht für die Erhaltung des Friedens oder ähnlich wichtiger Dinge. Nein, man hat dort eine Bittprozession gehalten, damit der SC Freiburg nicht aus der Bundesliga absteigt. Verrückt. Und geholfen hat es scheinbar auch.

Gott ist kein Gott, den nur ein Teil des Lebens interessiert, dem nur manches in unserem Leben wichtig ist, dem nur an unserem Seelenheil gelegen wäre. Unser ganzes Leben, alles was uns beschäftigt und bewegt, alles was uns ausmacht, unsere Freuden, unsere Schmerzen, unsere großen und unsere kleinen Sorgen, jede Faser unseres Ichs – alles ist ihm wichtig, alles hat vor ihm seinen Platz. Das ist sympathisch. Und: Das ist salesianisch.

Die zweite Antwort:

Wie kommt man dort hin? Wie macht man aus dem bitteren, oft traurigen, anstrengenden, ängstlichen Leben etwas Schönes, etwas Positives?

Wie wird aus der bitteren, sauren Zitrone eine wohlschmeckende Frucht?

Für Franz von Sales und uns Oblaten hängt alles an ein paar Minuten am Beginn des Tages: an der Vorbereitung auf den Tag.

Setz dich ein, zwei Minuten hin, heißt es, und denke den Tag durch. Egal ob Lehrer, Hausfrau, Landwirt, selbständig oder Angestellter, bereite dich auf den Tag, und alles was er bringen mag, mental vor. Denn das Problem ist unser Kopf: Wie wir bewerten, wie wir über andere denken, Geschichten erfinden, uns mit anderen vergleichen, von Vergangenem träumen, … und dabei vergessen, dass das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat

Sportler haben längst erkannt, dass es um den Kopf, um die Einstellung geht, um Bestleistungen zu bringen. Sie ziehen sich deshalb in einen mentalen „Tunnel“ zurück und konzentrieren sich nur auf das Spiel oder den Wettkampf. Musiker machen es nicht anders, um schwere Partituren fehlerfrei zu spielen. Jeder Politiker weiß, dass er in der Diskussionsrunde nur bestehen wird, wenn er sich mental auf sein Gegenüber eingestellt hat und alles durchgedacht hat. Barak Obama und Angela Merkel haben sich oft eine Woche lang zurückgezogen und darauf vorbereitet. Jede Verkäuferin lernt, dass es wichtig ist, freundlich zu bleiben, obwohl der Kunde seine Unzufriedenheit lautstark kundtut, und das gelingt nur, wenn man vorbereitet ist, wenn sie sich mental auf unangenehme Ereignisse eingestellt hat.

Aber wir alle meinen, das gilt nicht für das Leben, das gilt nicht für unseren Alltag. Dabei ist der Alltag vielfältiger und herausfordernder als jede Debatte und alles andere:

weil der griesgrämige Nachbar mir jeden Tag über den Weg läuft; weil die vielen Baustellen einen ärgerlichen Verkehrsstau verursachen, weil die teuren Nahrungsmittel im Supermarkt kaum bezahlbar sind, weil das lange Warten beim Arzt nicht verstanden wird, weil man die Niederlage von Rapid Wien unfair findet, und weil die tausend Fehler meines Partners oder meiner Partnerin furchtbar auf den Keks gehen …

Unsere Ordensgründer und Patrone meinen, es gibt nichts Wichtigeres im Leben, als sich jeden Tag auf diese Personen und Situationen gut vorzubereiten, dass man liebenswürdig bleibt, besonnen, Herr / Frau der Lage. Nur die mentale Vorbereitung hilft und ändert alles. Nicht die morgendliche Zeitung, nicht die Tasse Kaffee, nicht das Wissen von Fakten, … machen den Unterschied, sondern wie man auf den Nachbarn, den Verkehrsstau und auf das verlorene Spiel reagiert. Und dafür braucht es eine Vorbereitung, damit wir letztendlich in jedem Menschen seine Einzigartigkeit, seine Würde und in allem den göttlichen Funken entdecken.

Auch das ist sympathisch. Und: es ist salesianisch.

Sie halten eine Zitrone in der Hand.

Sie wissen, sie schmeckt säuerlich und etwas bitter.

Aber sie müssen auch wissen: sie ist gesund, hat viel Vitamin C, eine leichte Süße und einen Hauch von Orangengeschmack. Obwohl sie Zitrone bleibt, beißt man jetzt schon lieber hinein.

Dafür wurden die Oblaten des hl. Franz von Sales vor 150 Jahren gegründet: In allem und jedem etwas Schönes, Süßes, etwas von Gott zu sehen; und den Menschen immer wieder davon zu erzählen.

P. Provinzial Josef Költringer OSFS (Wien-Krim, 4.10.2025)