Predigt zu Allerseelen (Lk 17,5-10)

Tote begraben

Tote begraben ist ein Werk der Barmherzigkeit. Daher ist es nicht egal, wie wir mit unseren Verstorbenen umgehen. Das gilt nicht nur für das Christentum, sondern für alle Kulturen und Religionen. Die Störung der Totenruhe ist eine strafbare Handlung. Seit Urzeiten haben Menschen eigene Rituale entwickelt, wie sie mit den Verstorbenen umgehen wollen. Diese Rituale gelten nicht nur für Prominente, sondern für alle Menschen, auch für die Armen und sozial Schwachen. Jeder Mensch hat das Recht auf eine würdevolle Bestattung. Dazu gehört auch die Erinnerungs- und Gedenkkultur. Wobei wir daran merken, dass wir dabei an unsere Grenzen stoßen.

Auf einem Wiener Friedhof sah ich einmal einen Container mit entsorgten Grabsteinen stehen. Auf einem dieser Grabsteine standen die Worte: „Für immer unvergessen“. Eben nicht, dachte ich mir. Nun bist du, auf dem dieser Grabstein vielleicht Jahrzehnte stand, vergessen, dein Grab ist aufgelöst, der Grabstein wird entsorgt, alle Spuren sind beseitigt.

Wenn ich an meine eigenen Angehörigen denke: Wie weit erinnere ich mich zurück? Bis zum Großvater, der Grußmutter – zum Urgroßvater, zur Urgroßmutter? Irgendwann aber verblassen meine Erinnerungen unweigerlich, die Lebensgeschichten unserer Verstorbenen verlieren sich im Nichts. Und das Wort von Antoine de Saint-Exupéry, das man immer wieder auf Partezetteln findet, verliert seine Bedeutung: „Wenn ihr mich sucht, sucht mich in eurem Herzen. Habe ich dort eine Bleibe gefunden, dann bin ich immer bei Euch.“

Der gläubige Mensch erhält aber auch in dieser Situation des endgültigen Vergessens den Trost Gottes. Beim Propheten Jesaja zum Beispiel steht: „Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen …? Und selbst wenn sie es vergisst: Ich vergesse dich nicht“ (Jes 49,15).

Daran glauben wir: Jeder Mensch, ja jedes Geschöpf ist eingeschrieben in das kollektive Erinnern unseres Gottes. So können wir auch die Worte Jesu an Marta aus dem heutigen Evangelium verstehen: „Wer an mich glaubt wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.“

Unser menschliches Erinnerungsvermögen verblasst irgendwann, ja es ist viel zu klein, um an all die Verstorbenen dieser Welt zu denken, bei Gott jedoch ist das nicht so, in seiner unendlichen Liebe sind alle Verstorbenen auf ewig und unvergesslich aufgehoben. Daher trauern wir auch nicht wie jene, die keine Hoffnung haben. Wir haben diese Hoffnung, dass Jesus Christus die Auferstehung und das Leben ist, dass durch ihn kein Tod, in welcher Form auch immer, das letzte Wort hat.

Der heilige Franz von Sales beschreibt das so: „Glauben Sie mir: Um auf dieser Pilgerfahrt zufrieden zu leben, müssen wir vor unseren Augen die Hoffnung auf die Heimkehr in unser Vaterland gegenwärtig haben, wo wir ewig verbleiben werden, und indessen fest glauben (denn das ist wahr), dass Gott, der uns zu sich ruft, darauf schaut, wie wir zu ihm hingehen … Er weiß, wer wir sind, und wird uns seine väterliche Hand … entgegenstrecken … Um uns aber dieser Gnade recht erfreuen zu können, müssen wir vollkommenes Vertrauen zu ihm haben.“

Daran glauben wir, genau deshalb feiern wir Allerseelen, genau deshalb erinnern, gedenken und beten wir für die Verstorbenen, genau deshalb sind sie nicht vergessen, sondern aufgehoben in das unendliche, ewige göttliche Erinnerungsvermögen. Genau deshalb werden wir jetzt die Namen der Verstorbenen des vergangenen Jahres nennen und für sie eine Kerze auf den Altar stellen. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS