Predigt zum Palmsonntag (Lk 4,21-30)
Wie Stimmung kippen kann …
Kein Tag im Kirchenjahr zeigt deutlicher, wie schnell die Stimmung bei Menschen kippen kann. Personen des öffentlichen Lebens können davon ein Lied singen: zuerst ist man der gefeierte Star, dann tut man etwas, was den Leuten nicht passt, und schon wird man mit gleicher Energie in den Boden gestampft. Den Menschen macht es offenbar genauso Spaß, andere zu bejubeln, wie sie zu beschimpfen.
Jesus hat das am eigenen Leib erfahren müssen. Beim Einzug in Jerusalem wurde er in den höchsten Tönen bejubelt: „Hosanna, Sohn Davids, wir huldigen dir“. Ein größeres Lob konnte man zur damaligen Zeit gegenüber einem Menschen nicht aussprechen. Ein paar Tage später schrien die gleichen Leute mit gleicher Inbrunst: „Ans Kreuz mit ihm“. Aus Jubel wird Wut, aus Verehrung Verachtung, in grenzenloser Demut legt man Kleidungsstücke auf den Boden, damit der Mensch sich seine Füße nicht schmutzig macht, in grenzenlosem Hass nagelt man den gleichen Menschen ans Kreuz und verhöhnt ihn: Hilf dir doch selbst, du Superheld.
Ich hoffe, dass uns allen klar ist, dass ein solches Verhalten anderen gegenüber ganz und gar nicht zu unserem christlichen Verständnis passt. Das, was ich mich frage, ist jedoch, ob uns das auch in unserer Beziehung zu Gott bewusst ist. Wie gehe ich mit Gott um? Wie darf ich mit Ihm umgehen?
Der heilige Franz von Sales ist in dieser Frage eindeutig: „Unser Herr will angebetet sein, wo immer er sein mag“, sagte er in einer Predigt. Egal wie Gott sich in dieser Welt zeigt: Als Hirte, Retter, Messias, als Richter oder Rächer, voll Liebe oder Zorn, verklärt oder gekreuzigt, als Kind in der Krippe oder alter Mann mit Bart … immer und überall ist die Anbetung die rechte Weise, wie wir uns Gott zu nähern haben. Ich bewundere diesen salesianischen Gleichmut, der sich aus seiner Erfahrung speist, dass Gott die Liebe ist. Franz von Sales war davon so durchdrungen und überzeugt, dass für ihn der Wille Gottes immer nur Ausdruck seiner Liebe sein konnte, egal ob ich ihn verstehe oder nicht.
Wir wissen aus unserer eigenen Glaubensgeschichte, dass Gottesbeziehung sehr unterschiedlich sein kann. Erfüllend, bedrückend, herausfordernd, beglückend, voll Liebe, aber auch voll Schmerz, Trauer, Wut und Zorn, Verständnislosigkeit, Zweifel, Trotz, Zustimmung und Ablehnung.
Jetzt aber kommt die große Überraschung: Die Geschichte Gottes mit dem Menschen, so wie sie uns die Bibel beschreibt, zeigt uns, dass Gott mit all diesen Gefühlsausbrüchen und Stimmungsschwankungen des Menschen ihm gegenüber keine Schwierigkeiten hat, zwar nicht immer gut heißt, aber doch Verständnis zeigt. Er weiß eben ganz genau, dass manche seiner Handlungen unbegreiflich sind. Er kann sogar seinen Mördern noch etwas Gutes abgewinnen: „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Mit einem jedoch kann Gott nicht umgehen, und genau das sollten wir uns gerade heute am Palmsonntag merken: Was Gott nicht leiden kann, ist die Gleichgültigkeit. Das heißt: In unserer Beziehung zu Gott ist nicht das „Kreuzige ihn“ das Schlimmste, sondern das „Du bist mir egal“. Du kannst tun und lassen was du willst, in meinem Leben spielst du keine Rolle, kommst du einfach nicht vor.
Wenn wir also heute den Palmsonntag feiern, dann feiern wir die beiden Extreme der Gottesbeziehung: den Jubel und die Ablehnung, das Hosianna und das Kreuzige ihn … aber wir feiern auch alles dazwischen, den Zweifel, die Unbegreiflichkeit, das Vergessen und die spannenden Entdeckungen … und wir bekennen uns dazu, dass wir eines nie tun werden, egal in welcher Beziehung wir zu Gott stehen, wir werden nie sagen, dass Gott uns egal ist, weder in unseren Worten, noch in unseren Handlungen. Amen.
Herbert Winklehner OSFS