Br. Stanislaus Tempelmeier

Predigt zum Requiem Br. Stanislaus Tempelmeier (Jes 9, 1-6; Mk 5, 24-34)

Er war ein Original sondergleichen

Wenn wir uns unseren Br. Stani noch einmal leibhaftig vorstellen, einfach so wie wir ihn alle erlebten, dann werden wir trotz unserer eigenen persönlichen Erlebnisse mir ihm wohl alle übereinstimmen, dass es sich bei Br. Stanislaus um ein besonderes Exemplar unserer Ordensgemeinschaft handelte. Er war ein Original sondergleichen, einzigartig und authentisch, und dabei meine ich gar nicht so sehr seine äußere Erscheinung – die sicher auch! Denn wir hatten nur einen Mitbruder in der Geschichte unserer Ordensprovinz, der einen Arm im Krieg verloren hatte und mit dieser Behinderung mindestens so umgehen lernte wie ein Teilnehmer der Paralympics – zeitweise sogar darüber scherzend und mit dem verbliebenen Rest seines Armens stupsend und äußerst wendig, wenn es galt, sich selbst zu organisieren – und das begann bei den kleinsten alltäglichen Dingen wie dem Waschen, Ankleiden, Essen und in jungen Jahren sogar beim Fußballspielen. Ihn aber nur auf seine körperliche Erscheinung hin als einmalig und unvergleichbar zu beschreiben, wäre trotzdem nur sehr einseitig. Wenn er nämlich auch schnell lernte, seine Behinderung geschickt als (Kommunikations-)Medium einzusetzen – wenn notwendig dann auch so vehement, dass man ihm, das, was er wollte, einfach nicht abschlagen konnte, … so musste er wohl auch in vielen Stunden, Tagen und Jahren gleich nach der Verwundung auf dem Schlachtfeld schmerzhaft lernen, mit dieser für den Rest seines Lebens wohl unwiederbringlichen Realität zu leben. Aber wie es einmal so ist: jeder Nachteil, mag er noch so groß und schlimm sein, hat auch einen Vorteil. Und den konnte Br. Stanislaus in der Kommunität des Salesianums, in der er sein ganzes Ordensleben verbrachte, langsam entdecken und auch nützen. Das war es, das ihn dann auch zum unverwechselbaren „Stani“  machte – den jeder schließlich kannte als lebendes Inventar des Rosentals. Kein Provinzial hat es jemals versucht, ihn woanders hin zu versetzen, irgendwie war seine Behinderung auch sein Versetzungsschutz, maximal wechselte er von einem Zimmer in ein anderes. Daher waren seine Wünsche, seine Ansichten, seine Widerstände, seine Bemerkungen und Meinungen, aber auch seine Macken für alle Hausbewohner – vom Oberen angefangen bis zum Novizen immer um eine Spur verbindlicher und herausragender. Schließlich hatte er auch seine Aufgaben in der Gemeinschaft, die so etwas wie Schlüsselpositionen waren. So bediente er z.B. die Glocke, die zum Aufstehen und zum Gebet rief … und die befand sich am Gang zur Kapelle …  und jeder musste an ihm vorbei, ob zu früh dran oder zu spät, ob gut gelaunt oder schlecht … jeder bekam vom Stani seine Bemerkung mit auf den Weg in die Kapelle. Für Br. Stanislaus war das Salesianum im Rosental eigentlich wie ein Mönchskloster mit Stabilitas Loci, und er hätte das Zeug zum Prior gehabt, auch als einfacher nicht studierter Bruder. Denn er hatte eine besondere Wahrnehmungsgabe, die mit wenigen Worten oder Gesten, mit einer Melodie oder mit einer besonderen Mimik einen Mitbruder so beschreiben konnte, dass man sofort wusste, um wen es sich da handelte.

All diese Charaktereigenschaften besonderer Art brachte der Franz Tempelmeier wahrscheinlich nicht – oder nur keimhaft – ins Kloster mit. Im Gegenteil! Ich glaube, nach heutigen Maßstäben und heutigen Berufungskriterien bin ich mir nicht sicher, ob man ihn aufgenommen hätte. Schließlich wurde er, wie er selbst oft erzählte, als 14 jähriger Junge ins Kloster geschickt, so wie damals oft Jugendliche von den Eltern verheiratet wurden ohne überhaupt gefragt worden zu sein. Was er als einfacher Sohn eines Schäfers aber hatte, war die Gabe, das, was nicht veränderbar war, hinzunehmen und eben das Beste daraus zu machen. Und das gelang ihm, vielleicht nicht immer dem Geschmack jedes Mitbruders entsprechend, aber für ihn selbst so sehr, dass er möglichst lange leben wollte – und es schließlich auch tat. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass er gerade in den letzten Jahren, in denen viele, die jünger als er waren, starben, irgendwie dankbar war, sie überlebt zu haben. Vielleicht war das sein persönlicher Ehrgeiz, weil er doch immer ein Leidender war, oder zumindest den Eindruck hinterließ, dass er „ein Mann der Schmerzen war, mit Krankheit vertraut.“  – so wie es im Gottesknechtlied beim Propheten Jesaja steht.

Abgesehen von den Phantomschmerzen seines verlorenen Armes, von denen er mir oft erzählte, verwob sich seine Leiblichkeit mit seiner Spiritualität zu einem Ganzen. Der Kreuzweg war seine Lieblingsandacht, die Betrachtung des leidenden Christus! Wenn man abends in die dunkle Kapelle kam, stand er bei den Bildern des Kreuzweges und – was besonders war – er berührte sie beim Beten … offensichtlich um einen ganz intensiven Kontakt mit dem erlösenden Geschehen des kreuztragenden Heilands zu haben. Br. Stani suchte die Berührung, um berührt zu werden. Das erinnert mich an diese Frau im Evangelium, das wir vorhin gehört haben. Sie setzte ihr einzige Hoffnung auf die Berührung des Herrn. Sie wusste, wenn sie wenigstens sein Gewand erwischt und berührt, dann ist das die letzte Chance, von ihrer Krankheit geheilt zu werden. Und Jesus bemerkt das trotz der vielen Leute um sich herum, dass es da eine gab, die eine besondere Berührung brauchte, damit sie ihm ihre ganze Wahrheit erzählen und dadurch zu ihrem Heil gelangen konnte. Br. Stanislaus berührte das Kreuz mehrmals täglich, diesen Kontakt brauchte er offensichtlich, obwohl das einmal für ihn fast tragisch ausging (- ich denke da nur an das Kruzifix in der Werktagskapelle, das dadurch einmal aus der Verankerung riss, auf ihn fiel und ihn verletzte).  – Seine Frömmigkeit war die Frucht eines unglaublich treuen und häufigen Betens. Das ging mit seiner Treue an seinem Arbeitsplatz im Versand des Franz Sales Verlags einher. An diesen beiden Orten spielte sich sein Leben größtenteils ab. Ora et Labora! Beten in der Kapelle, Arbeiten im Verlag. Und das alles eingebettet in das Gemeinschaftsleben, zu dem er sich ja als Ordensmann entschlossen hatte, als er die Gelübde des Ordenslebens versprach. Ich habe die Lesung vom Heiligen Abend aus dem Propheten Jesaja für seine Begräbnismesse ausgewählt. Denn diese Lesung war für viele Jahrzehnte am Heiligen Abend SEIN ganz persönlicher Auftritt – sozusagen seine Paraderolle in der Weihnachtsliturgie der Ordenskommunität. „Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein helles Licht. Denen, die im Land der Finsternis leben, ist heller Tag geworden.“ Wir alle warteten jeden Heiligen Abend auf diesen Auftritt, denn da wuchs unser Stani, der ja nicht groß war, weit über sich selbst hinaus. Nun ist es Realität geworden. Nun ist er aus der Finsternis des Todes wohl in das Licht gegangen, und wir hoffen, dass ihm lichter Tag geworden ist. Der wunderbare Ratgeber, der starke Gott, der Vater in Ewigkeit und der Fürst des Friedens mag ihn nun begegnen, vielleicht als dieses Kind, das uns geboren und geschenkt wurde, dessen Herrschaft – so paradox das auch klingen mag – groß ist, weil es eine ohnmächtige Herrschaft ist, eine Friedensherrschaft, die kein Ende hat. Dieses göttliche Kind möge nun ihm, der sich sein ganzes Leben von dessen Botschaft hat begeistern und führen lassen, nun seinen Frieden schenken – seinen ewigen Frieden. Amen.

P. Provinzial Thomas Vanek OSFS (Eichstätt, 18. 2. 2017)