Predigt zum Palmsonntag (Mk 11,1-10)
Büschel und Palmzweige
Mit dem Palmsonntag beginnt die „Heilige Woche“, bei uns „Karwoche“ – „Woche des Klagens / der Trauer“ genannt.
In dieser Woche erleben wir jedes Jahr das traurigste, aber auch das heiligste Geschehen unseres Glaubens: Leiden, Sterben, Tod und Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus. Drei Rufe umrahmen diese Tage: Hosanna in der Höhe! – Ans Kreuz mit ihm! – Halleluja, Jesus lebt.
In dieser Woche verdichtet sich also alles auf den Kern unserer christlichen Botschaft: Wir glauben an Jesus, den Christus, den Messias, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben, begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten.
Ich weiß, alles das ist nichts Neues. Wir feiern es jedes Jahr seit fast 2000 Jahren … darin liegt eine Chance, aber auch eine Gefahr. Das Gute ist, dass wir einmal im Jahr ganz intensiv und konzentriert daran erinnert werden, worin das Wesentliche unseres Glaubens besteht, damit wir auch eine Antwort geben können, wenn wir danach gefragt werden. Das Wichtigste unseres Glaubens ist Jesus Christus, der für uns gelitten hat, am Kreuz gestorben ist und auferstand. All das geschah, weil Gott uns liebt. „Es gibt keine größere Liebe“, so sagt Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern, „als wenn einer sein Leben gibt für seine Freunde … Dies trage ich euch auf: Liebt einander so, wie ich euch geliebt habe.“ Genau daran werden wir jedes Jahr in der Heiligen Woche von Leiden, Sterben, Tod und Auferstehen Jesu erinnert, damit wir es ja nicht vergessen.
Die Gefahr besteht darin, dass all das, was wir ständig immer wieder hören, beim einen Ohr hinein und beim anderen wieder hinausgeht und so selbstverständlich ist, dass es keine Wirkung, keine Konsequenzen mehr hat. Es ist nichts Neues mehr, und damit nicht mehr interessant.
Gegen diese Gefahr müssen wir ankämpfen. Und wie? Indem wir zum Beispiel in diesen Tagen wieder einmal die Bibel zur Hand nehmen und uns die Leidensgeschichte Jesu Zeile für Zeile, Wort für Wort, durchlesen. Ich bin mir sicher, dass wir darin immer noch etwas für uns Wichtiges entdecken können, auch wenn wir diese Leidensgeschichte schon so oft gehört haben.
Nur ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung. Jedes Jahr höre ich jetzt schon die Erzählung vom Einzug in Jerusalem. Aber mir ist erst in diesem Jahr aufgefallen, dass der Evangelist Markus, dessen Version wir heute gehört haben, gar nicht von „Palmzweigen“ schreibt, die die Leute in die Höhe hielten … er schreibt davon, dass die Menschen von den Feldern „Büschel“ abrissen und so wie die Kleider auf den Weg legten. Der Evangelist Matthäus schreibt dann bereits von Zweigen, die von den Bäumen geschnitten wurden. Erst der Evangelist Johannes verwendet die Palmzweige.
Was bedeutet das? Selbst die Evangelisten durchliefen in der Beurteilung und Beschreibung über Jesus Christus einen Lernprozess. Je mehr sie sich mit dem Geschehen der Heiligen Woche beschäftigten, umso deutlicher und klarer wurde ihnen, was der Apostel Paulus in der heutigen Lesung schrieb: „Jesus Christus ist der Herr – zur Ehre Gottes des Vaters.“ So wurden aus den einfachen Grasbüscheln des Evangelisten Markus im Laufe der Jahre beim Evangelisten Johannes die Palmzweige, weil diese das würdigere Zeichen der Verehrung und Anbetung Gottes als Herrn und König darstellten.
„Unser Herr will angebetet sein, wo immer er sein mag,“ predigte daher auch der heilige Franz von Sales einmal. „So wurde er angebetet in der Krippe von den Königen (Mt 2,11), am Kreuz durch den Schächer (Lk 23,42), bei seinem Einzug in Jerusalem von den Scharen, die Hosanna riefen (Mt 21,9).“ (DASal 9,91)
Es ist nur ein Wort … das mir aber die Frage stellt: Und du: wie verehrst du Jesus Christus heute, wenn du mit deinem Palmkätzchenstrauch hier in der Kirche bist und den Palmsonntag feierst?
Lassen wir uns auch in diesem Jahr von der Heiligen Karwoche berühren, auch wenn wir sie schon so oft erlebt haben. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS