Predigt zum 5. Fastensonntag (Joh 12,20-33)

Das Weizenkorn muss sterben

Aus der Stelle des eben gehörten Evangeliums merken wir, dass sich Jesus Christus mehr und mehr bewusst wird, dass er seine Jüngerinnen und Jünger auf die Katastrophe vorbereiten muss, die sie bald erleben werden:

„Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird.“

Er verwendet dafür ein Bild oder ein Symbol, das allen geläufig ist: das Weizenkorn. Es muss in die Erde fallen und sterben, damit es nicht allein bleibt, sondern neu zu wachsen beginnt und reiche Frucht bringt. Aus dem Weizen wird Mehl, aus dem Mehl Brot – und alle werden satt.

Immer wieder verwendet Jesus dieses Bild des Weizens, des Brotes, weil er weiß, dass die Menschen das verstehen, und weil er sich selbst als das Brot des Lebens betrachtet. „Ich bin das Brot des Lebens. Wer mit nachfolgt, der wird nie mehr Hunger haben. Dieses Brot, das ist mein Leib. Wer davon isst, wird nicht sterben, sondern ewig leben.“

Zuerst aber muss das Weizenkorn in die Erde fallen. „Denn wer an seinem Leben hängt, verliert es, wer aber sein Leben gering achtet, wird es bewahren bis ins Ewige Leben.“

„Meine Seele ist erschüttert“, aber es geht nicht darum, dass Gott mich rettet, es geht darum, dass er mich verherrlicht. „Wenn ich über der Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen.“

All das sagt Jesus, um anzudeuten, auf welche Weise er sterben wird. All das sagt Jesus, um die Menschen auf seine Kreuzigung vorzubereiten.

Ich erinnere noch einmal an die Dramatik, die hinter dem Ganzen steckt, denn das dürfen wir nicht vergessen: der Tod durch Kreuzigung war das schlimmste Ende, das man sich zur Zeit Jesu vorstellen konnte. Wer gekreuzigt wird, der stirbt nicht einfach, der verreckt im wahrsten Sinne des Wortes. Der Gekreuzigte ist nicht nur körperlich zerstört, sondern auch gesellschaftlich. Es ist die größte Schande, die einem passieren konnte – und dieser Gekreuzigte soll der Retter der Welt sein? Der Messias, der Sohn Gottes? Jesus weiß also ganz genau, was auf dem Spiel steht.

 

Der heilige Franz von Sales sagte einmal: „Glücklich jene, die sich Gott zur Verfügung stellen! Gott lässt nicht zu, dass ihr Leben unfruchtbar und unnütz ist“ (vgl. DASal 2,94). Diesen Satz könnte man als Überschrift über das heutige Evangelium stellen: Wer Jesus nachfolgt, dessen Leben ist sinnvoll, auch wenn es von außen betrachtet wie das Gegenteil aussieht, genauso wie bei Jesus Christus.

Von außen betrachtet ist Jesus gescheitert. Seine Botschaft ist bei den Menschen nicht angekommen. Im Gegenteil, sie hat ihm einen qualvollen, grausamen Tod beschert. Seine Wunder, die er wirkte, waren sinnlos. Seine Predigten Worte in den Wind. Seine Solidarität mit den Armen, Kranken, Ausgestoßenen, all das hat ihm nichts gebracht. Er wurde verlassen, verspottet, verurteilt, gefoltert, ans Kreuz genagelt und ist qualvoll gestorben. „Mein Gott, warum hast du mich verlassen.“

Und trotzdem hat dieses Ereignis die ganze Welt bis heute völlig verändert. Es war also nicht sinnlos, im Gegenteil: Gott hat seinen Sohn verherrlicht, das Weizenkorn, das in die Erde fiel, bringt reiche Frucht, bis heute.

Wir Christen, die Jesus nachfolgen, sind Menschen der Hoffnung. Wir sind davon überzeugt, dass Worte wie Opfer, Hingabe, Loslassen, ja sogar Sterben und Tod, so unmodern sie auch klingen mögen, keine negativen Begriffe sein müssen, sondern Erfolgsgaranten, wenn wir unser Leben in den Dienst Gottes stellen. Auf dieses Wenn kommt es an: Nicht wir bestimmen den Sinn und den Erfolg, sondern Gott ist es, der verherrlicht.

Der tschechische Theologe Tomas Halik hat das einmal auf den Punkt gebracht: „Der Optimismus“, so schrieb er, „ist die kühne Annahme …, dass ‚alles gut gehen wird‘. Im Gegensatz dazu ist die Hoffnung eine Kraft, die auch eine Situation auszuhalten vermag, in der sich diese Annahme als Illusion erwiesen hat.“

Christen sind also nicht bloß Optimisten, sie sind Menschen, die Hoffnung haben, dass das Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt, reiche Frucht bringt, dass Jesus Christus, der verurteilte Verbrecher am Kreuz, der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Dass Opfer, Loslassen und Hingabe einen Sinn hat, wenn damit der Wille Gottes erfüllt wird, so unbegreiflich er erscheinen mag. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS