Predigt zum Osterfest (Mt 28,1-10)
Schrittweise Annäherung
Das Osterfest ist das höchste Fest der Christen. In diesem Jahr feiern wir dieses Fest leider in einer Ausnahmesituation. Die Kirchen sind versperrt. Öffentliche Gottesdienste dürfen nicht stattfinden. Die Gefahr der Ansteckung durch das Corona-Virus ist einfach zu groß. Dieser Ausnahmezustand gilt fast in der ganzen Welt, selbst in Rom, selbst für den Papst. Ich weiß gar nicht, ob es in der Kirchengeschichte eine solche Situation schon einmal gegeben hat.
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte vor einigen Tagen in einer Pressekonferenz: „Wenn die Entwicklung so weitergeht und alle sich streng an die jetzt vorgeschriebenen Maßnahmen halten, dann können wir hoffen, dass wir nach Ostern schrittweise Wiederauferstehung feiern können.“ Diese Formulierung ist nicht nur eine positive Perspektive zur Rückkehr ins normale Leben, sondern eigentlich auch ein guter Hinweis dafür, das Osterereignis vor 2000 Jahren besser zu verstehen. Ostern ereignete sich zwar wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Um aber wirklich zu begreifen, was da passiert ist, mussten sich die Jüngerinnen und Jünger Jesu sich schrittweise an das annähern, was da am Ostermorgen tatsächlich geschehen ist: Jesus ist nicht tot, er lebt, er ist auferstanden. Das Begreifen und Verstehen geschah nicht einfach so, es geschah Schritt für Schritt.
Die Frauen am Grab hörten den Engel sagen: „Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier, denn er ist auferstanden.“ Verstanden haben sie diese Botschaft nicht. Sie glaubten zuerst, der Leichnam Jesu wäre gestohlen worden. Ihre erste Reaktion war nicht Jubel und Freude, sondern Furcht und Schrecken über das Unglaubliche und Unbegreifliche.
Den Jüngern erging es ähnlich. Die vielen Ostererzählungen der Evangelisten berichten darüber. Maria Magdalena verwechselt Jesus mit einem Gärtner, die Emmausjünger erkennen Jesus erst nach einem langen gemeinsamen Weg und Gespräch bis zum Abend. Die Apostel verstecken sich wochenlang im Abendmahlssaal. Der Apostel Thomas muss warten, bis er Jesus und seine Wunden berühren darf und zum Glauben findet. In Galiläa am See von Genezaret muss der Lieblingsjünger Johannes seinem Mitapostel Petrus erst sagen: „Es ist der Herr“, damit diesem die Augen aufgehen. Jesus muss seinen Jüngerinnen und Jüngern immer wieder erscheinen und mit ihnen essen, um ihnen klar zu machen, dass er kein Geist ist, sondern wirklich lebt. Trotz all dieser Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Auferstandenen bleiben die Apostel mutlos und verzagt, sperren sich in Jerusalem ein. Erst nach 50 Tagen, erst am Pfingstfest, erst als der Sturm und das Feuer des Heiligen Geistes auf sie herab kam, finden sie endlich den Mut, hinauszugehen und die Botschaft der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus aller Welt zu verkünden.
Also schon vor 2000 Jahren war Ostern nicht einfach ein schlichtes Erkennen: Jesus starb am Kreuz – Jesus lebt wieder, Halleluja. Es brauchte auch damals schon eine schrittweise Annäherung an die Auferstehung des Herrn. Heute, in der Zeit der Corona-Pandemie, können wir das eigentlich sehr gut nachvollziehen. Ostern geschieht in diesem Jahr nicht von Heute auf Morgen: Osternacht, Osterkerze anzünden, Halleluja, Fest und Feier und dann wieder Alltag bis zum nächsten Jahr. Heuer erkennen wir: Ostern ist ein lebenslanger Prozess, eine lebenslange schrittweise Annäherung an das Unbegreifliche: Jesus lebt. Es genügt eben nicht, nur an einem Tag Ostern zu feiern.
Eine zentrale Botschaft der Osterevangelien lautet: „Fürchtet euch nicht!“ Es sagt der Engel zu den Frauen am Grab. Und es sagt Jesus selbst zu den Jüngern. „Fürchtet euch nicht!“
Sehr schön beschreibt dies auch der heilige Franz von Sales in einer Predigt: „Da erschien der Heiland unter ihnen [den Aposteln], um sie in ihrer Betrübnis zu trösten, und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch. Er wollte ihnen gleichsam sagen: Warum seid ihr so furchtsam und betrübt? Wenn es der Zweifel ist, dass nicht eintrifft, was ich euch von meiner Auferstehung gesagt habe, dann Pax vobis; bleibt in Frieden, es werde Friede in euch, denn ich bin auferstanden. Seht meine Hände, berührt meine Wunden; ich bin es doch selbst. Fürchtet euch nicht mehr; Friede sei mit euch.“ (DASal 9,328-329)
Das ist auch heute in dieser Ausnahmesituation des Jahres 2020 die zentrale Botschaft an uns alle: „Fürchtet euch nicht! Friede sei mit euch!“ Ostern fällt nicht aus, Ostern findet statt, und zwar jeden Tag von Neuem. Die Botschaft des Osterfestes ist zeitlos: „Ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten, Er ist nicht hier, denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat.“
Die Fastenzeit war für uns in diesem Jahr eine wirkliche und echte Bedenk- und Nachdenkzeit mit vielen Einschränkungen, die wir freiwillig nicht eingegangen wären. Die Osterzeit nun kann für uns eine Zeit werden, in der wir uns wieder schrittweise an das annähern, was Ostern bedeutet: das Fest des Lebens, das Fest der Freude, das Fest des Sieges über Sünde und Tod, das Fest der schrittweisen Annäherung an die Auferstehungsbotschaft: Jesus Christus ist nicht tot, er lebt, hier und jetzt und heute. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS