Predigt zum Karfreitag (Joh 18,1-19,42)

Die Verehrung des Kreuzes

Der Karfreitag gibt uns die Möglichkeit alles, was uns bewegt, all unsere Sorgen unter das Kreuz zu legen. Wir Christinnen und Christen sind nämlich davon überzeugt, dass zu Füßen des Kreuzes selbst das schlimmste Leid einen Sinn bekommen kann. Dort am Kreuz hören wir die Botschaft „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – Aber genauso: „Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist.“

„Zu Füßen des Kreuzes“, so schreibt der heilige Franz von Sales in einem Brief, „verläuft der sicherste Weg der Frömmigkeit.“ Eines seiner ersten Bücher, die er veröffentlichte, war eine Verteidigung der Verehrung des Kreuzes. Er betonte dabei, dass wir natürlich nicht das Holz verehren, und schon gar nicht das grausame Folterwerkzeug, sondern wir verehren Jesus Christus, dessen Liebe zu uns Menschen so groß war, dass er dieses Kreuz auf sich nahm und daran getötet wurde. Das Kreuz erinnert uns also an die Liebestat Gottes – und diese Liebe, die das Leben opfert, diese Liebe, die Gott uns Menschen erwiesen hat, diese Liebe verehren wir, wenn wir uns vor das Kreuz hinknien, es küssen, uns vor ihm verneigen. Diese Liebe des Gekreuzigten schenkt uns Mut, Hoffnung und Zuversicht in unserem Leben.

Für den heiligen Franz von Sales erinnert uns das Kreuz in den Kirchen, am Straßenrand, auf öffentlichen Plätzen und in unseren Häusern und Wohnungen an folgende wichtigen Inhalte unseres Glaubens:

1) Das Kreuz ist die „Hochschule der Liebe“: Im Blick auf das Kreuz lernen wir, was Liebe wirklich bedeutet, nämlich lieben auch dann, wenn es weh tut, wenn ich selbst keinen Nutzen davon habe, ja selbst dann, wenn ich meine eigenen Interessen zurückstellen oder sogar aufgeben muss, damit es dem anderen besser geht als mir.

2) Das Kreuz ist die Quelle der Erlösung: Im Blick auf das Kreuz sehen wir den Beweis, dass wir erlöst sind von allem Bösen, von unserer Schuld und Sünde, ja selbst von der Unerbittlichkeit des Todes. Jesus Christus hat das Kreuz auf sich genommen, um uns von all unseren Lasten zu befreien, die durch unsere Schwächen, Fehler und Unvollkommenheiten verursacht sind, und er sagt uns: Nicht das Böse, nicht der Tod haben das letzte Wort, sondern die Erlösung.

3) Das Kreuz ist das Zeichen des Heils: Im Blick auf das Kreuz werden wir also daran erinnert, dass Jesus Christus unser Heiland ist, unser Retter und Erlöser. In ihm und seiner Botschaft ist das Glück des Menschen und der gesamten Schöpfung enthalten. Wer auf ihn vertraut, der wird nicht verloren gehen.

4) Das Kreuz ist die Quelle der Kraft und Zeichen der Hoffnung: Wer in seinem Leben ein Kreuz zu tragen hat, der schöpft Kraft aus dem Blick auf das Kreuz. Im Blick auf das Kreuz wird meine Hoffnung genährt, dass selbst die finsterste Stunde meines Lebens einen Sinn haben kann. Der Karfreitag ist ja nicht das Ende der Geschichte Jesu, nach dem Karfreitag kommt der Ostermorgen, der Morgen der Auferstehung.

5) Das Kreuz ist die Schule der kleinen Tugenden: Demut, Sanftmut, Geduld, Herzlichkeit, Barmherzigkeit, Milde, Güte, Vertrauen … all diese kleinen Tugenden, die für das alltägliche Leben so wichtig sind, lernen wir im Blick auf den Gekreuzigten, der gesagt hat: Lernt von mir, denn ich bin gütig und demütig von Herzen. Mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht.

6) Das Kreuz ist die Quelle des Friedens: Einer der schlimmsten Irrtümer des Menschen war und ist, das Kreuz als Kriegswaffe zu missdeuten und zu missbrauchen. Durch Jesus Christus ist das Kreuz keine Waffe, sondern die Quelle des Friedens. Aus dem Folterwerkzeug wurde der Baum des Lebens. Das Kreuz lehrt uns: Friede entsteht nicht durch Waffengewalt, sondern durch Gebet und Liebe. Die erste Botschaft Jesu nach seiner Auferstehung lautete: „Schalom – Der Friede sei mit euch“. Ich ging den Weg des Kreuzes, damit ihr den Frieden habt.

7) Das Kreuz ist der Ort der Ruhe: Zu Füßen des Kreuzes findet meine Seele die innere Ruhe. Jesus lädt mich ein: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe verschaffen.“ Dort, zu Füßen des Kreuzes, kann ich alles ablegen, was mich bewegt und beschäftigt. Ich weiß alles aufgehoben im unendlichen Erbarmen Gottes, dem ich wirklich alles anvertrauen kann, und von dem ich weiß, dass er alles, was mich herausfordert und belastet, zum Guten führen wird.

Betrachten wir also das Kreuz, unser Symbol als Christinnen und Christen. Legen wir alles, was uns bewegt, vor das Kreuz, wenn wir es am heutigen Karfreitag, dem Tag des Leidens und Todes Jesu verehren. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS