Predigt zum Hochfest Maria Empfängnis (Lk 1,26-38)
Voll der Gnade
Dass es so etwas wie die „Erbsünde“ gibt, ist uns sicher allen klar. Eine jede und ein jeder von uns macht nämlich hin und wieder die Erfahrung, dass er gerne tun würde, wovon er genau weiß, dass es eigentlich verboten oder zumindest nicht richtig ist.
Mir ist zum Beispiel klar, dass ich über andere nicht schlecht reden soll, dennoch tue ich es, weil es ja auch Spaß macht, die Fehler anderer weiterzuerzählen.
Mir ist klar, dass Gebet und Gottesdienst wichtig und wertvoll sind, dennoch ertappe ich mich dabei, die Zeit mit Gott lieber mit anderem zu verbringen und mir alle möglichen Ausreden einfallen zu lassen, die mich darin bestärken.
Oder mir ist klar, dass ich eigentlich nicht neidisch, zornig, eifersüchtig oder unehrlich sein soll, aber es klappt trotzdem nicht immer – und meistens geht es ja ohnehin nur um belanglose Kleinigkeiten und nicht um große Sachen.
Solche und viele andere Beispiele haben ihre Ursachen genau in dem, was wir „Erbsünde“ nennen. Ein besseres Wort dafür wäre daher „Ursünde“ oder „Neigung zur Sünde“. Wir sind eben leider noch nicht vollkommen, wir haben also unsere Fehler und Schwächen, die uns täglich herausfordern, egal, ob wir das nun wollen oder nicht.
Das Mariendogma, das wir heute feiern, also das „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“ besagt nun ein Zweifaches:
Erstens: Maria wurde von Gott auf besondere Weise auserwählt und beschenkt. Die Bibel beschreibt das mit den Worten: „Maria, du bist voll der Gnade, der Herr ist mit dir“. Franz von Sales meint: Gott hat von Anfang an beschlossen, Mensch zu werden … und er hätte diesen Plan auf allerlei Weise verwirklichen können. Er entschied sich für Maria, die er dazu auserwählte, seine Mutter zu sein, und deshalb beschenkte er sie mit der Gabe, keine Neigung zur Sünde zu haben. Das bedeutet: Marias große Leistung in der Geschichte Gottes mit den Menschen bestand nicht darin, in ihrem Leben keine Sünde begangen zu haben, – das war ihr geschenkt -, ihre Leistung war es, dass sie dieses Geschenk annahm und zu ihrer göttlichen Berufung und Erwählung JA sagte: „Ja, mir geschehe, wie du gesagt hast“.
Und das ist dann das Zweite, was uns das heutige Fest sagen will: Für uns, die wir immer wieder diese Neigung zur Sünde verspüren, gilt ebenso, dass wir frei sind, darüber zu entscheiden, ob wir dieser Neigung zustimmen oder nicht. Die Neigung zur Sünde – also die Erbsünde – ist noch keine Sünde, sagte Franz von Sales, dafür können wir ja nichts, erst wenn wir dieser Neigung zustimmen, wird aus der Neigung eine tatsächliche Sünde. Sagen wir ein klares Nein, ist alles gut und wir können darauf vertrauen, dass Gott das unvollkommene, das wir begonnen haben, vollenden wird.
Das Leben Marias war in keinster Weise frei von Problemen. Im Gegenteil: Ihr ja zu Gott machte eigentlich alles noch viel komplizierter: Josef musste sie erklären, dass sie ihn nicht betrogen hat, die ersten Jahre war sie auf der Flucht, oft genug verstand sie ihren Sohn Jesus keineswegs und grübelte darüber nach, ob alles auch wirklich mit rechten Dingen zugeht … und schließlich musste sie tatenlos zusehen, wie ihr Sohn zum Schwerverbrecher gestempelt und hingerichtet wurde. Trotzdem hat sie ihr JA zu Gott nicht bereut und ist damit zur Mutter all jener geworden, die Gottes oft unerforschliche Wege nicht verstehen oder gar daran verzweifeln. So wie bei der Hochzeit in Kana sagt sie in solchen Situationen auch uns: „Was er euch sagt, das tut“ … Habt Vertrauen, gebt nicht auf, ihr seid bei Gott gut aufgehoben. Deshalb wird Maria bis heute so verehrt und deshalb verehrte sie auch der heilige Franz von Sales, der in seiner größten Lebenskrise bei ihr Zuflucht nahm und Erlösung fand. Und so konnte er beten:
„Du Mutter des Lebens … Die Augen aller Gläubigen sind auf dich gerichtet. Wir erwarten den Beistand deiner Gnaden. Und wenn du deine freigebigen Hände öffnest, werden wir alle mit Segnungen erfüllt. O heilige und hochherzige Mutter Gottes, befiehl, was du in deinem Stand der Gnade befohlen hast: „Was er euch sagt, das tut“ (DASal 12,167). Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS