Predigt zum 3. Adventsonntag (Joh 1,6-8.19-28)

Mitten unter uns

Das heutige Evangelium erzählt uns von Johannes dem Täufer. Eine Abordnung von Priestern und Leviten aus Jerusalem kommen zu ihm in die Wüste und fragen: Wer bist du? Johannes antwortet: Ich bin NICHT der Messias. Ich bin nur der Rufer in der Wüste, der dem Messias den Weg bereitet. Und diesem Messias bin ich nicht einmal Wert, die Schuhe zu schnüren.

Aufgrund dieser „Selbstverleugnung“ war Johannes der Täufer für den heiligen Franz von Sales „wie eine helle Sonne“, die alle anderen Heiligen überstrahlt.

Und diese Frage, die man dem Johannes stellte – „Bist du der Messias oder nicht?“ – diese Frage war zur damaligen Zeit ungeheuer wichtig. Wir können uns das heute kaum noch vorstellen. Damals aber warteten nicht nur Johannes, sondern das ganze Volk Israel voller Sehnsucht auf diesen Messias. Modern ausgedrückt könnte man sagen: Sie warteten auf einen Superstar, der die Menschen endlich von allen Problemen erlösen wird. Politisch wird es durch den Messias wieder Frieden geben, aller Krieg, aller Terror wird aufhören. Persönlich wird alles Leid gelöscht. Es wird kein Corona mehr geben, keine anderen Krankheiten, keine Unfälle und Katastrophen. Niemand braucht sich mehr um irgendetwas Sorgen zu machen: Das Bankkonto wird immer voll und der Arbeitsplatz gesichert sein. Der Messias wird das alles machen, so war man überzeugt.

Johannes der Täufer wird gefragt, ob er dieser Superstar ist, der nur mit den Fingern zu schnippen braucht, und schon sind alle Sorgen weg. Es muss für die Fragenden eine ziemliche Enttäuschung gewesen sein, als Johannes klar sagt: Nein, ich bin NICHT der Messias, aber er wird kommen, nur keine Angst, ich bin schon dabei, ihm den Weg zu bereiten.

Als Jesus dann in die Öffentlichkeit tritt, wird Johannes selbst zwei seiner Jünger zu Jesus schicken und ihm die gleiche Frage stellen: „Bist du der Messias, oder sollen wir auf jemand anderen warten.“ Und Jesus sagt: „Ja, ich bin es – aber ganz anders als ihr denkt.“

Der Advent ist eine Zeit des Wartens. Alle Jahre wieder. „Die Kirche bietet alles auf,“ so sagt der heilige Franz von Sales, „um die Großartigkeit eines bevorstehenden Festes anzukündigen; das beweist die Liturgie der Adventzeit. … Heute sollt ihr wissen, dass der Herr kommt, und morgen werdet ihr seine Herrlichkeit sehen“ (DASal 9,158).

Und alle Jahre sollten wir uns auf dieses großartige Fest vorbereiten und in einer stillen Minute adventlicher Besinnung die Frage stellen: Worauf warte ich eigentlich, für den Fall, dass ich überhaupt auf irgendetwas warte? Warte ich auf einen Superstar, der endlich all meine Probleme löst? Warte ich auf den Weihnachtsmann mit den vielen Geschenken – und hoffentlich ist jenes Geschenk dabei, worauf ich ganz besonders sehnsüchtig warte? Warte ich darauf, dass endlich ein Impfstoff kommt, der dieses Corona-Virus zum Teufel jagt?

Was erwarte ich mir vom bevorstehenden Weihnachtsfest, vom nächsten Jahr, von meinem Leben? UND – und das wäre eigentlich die wesentliche Frage des Advents: Spielt bei all meinem Warten und bei all meinen Erwartungen Jesus Christus eine Rolle? Soll auch er kommen? Und wenn, wie soll er kommen? Als Problemlöser in allen Lebenslagen und Wunderheiler? Als Christkind im lockigen Haar, das meine Weihnachtsgefühle nach Harmonie und Frieden und wohliger Winteratmosphäre stillt?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jesus Christus auch heute ganz anders kommen wird, als wir es erwarten. Er wird uns nämlich, so wie damals vor 2000 Jahren auch, alle Jahre wieder sehr heilsam enttäuschen. Und die heilsamste Enttäuschung hat Johannes der Täufer den Priestern und Leviten damals schon gesagt und das gilt immer noch: Der Messias ist nämlich schon längst da: „Mitten unter euch steht er und ihr kennt ihn nicht.“ Der, auf den ihr jedes Jahr im Advent wartet, er ist schon längst angekommen – damals genauso, wie heute. Aber wo?

Vielleicht ist das das Wort an uns, das uns heute besonders treffen soll: „Mitten unter euch steht er, und ihr kennt ihn nicht.“ Und der Auftrag an uns wäre, die Augen aufzumachen und Jesus mitten unter uns zu entdecken.

Der heilige Franz von Sales schlägt uns zum Beispiel vor, „sich den Heiland in seiner heiligen Menschheit als bei uns gegenwärtig vorzustellen, wie wir unsere Freunde uns vorzustellen gewohnt sind, und zu sagen: Ich glaube zu sehen, wie er dies oder jenes macht, es scheint mir, ich sehe ihn, usw.“ (DASal 1,74).

Der dritte Adventsonntag ist der Sonntag der Freude – und zwar deshalb, weil Jesus schon mitten unter uns ist, allerdings nicht als Superstar, sondern unscheinbar, im Kleinen, im Verborgenen, so wie damals als armes Kind im Stall von Betlehem.

Eine gute Vorbereitung auf das Weihnachtsfest wäre es: diesen unscheinbaren Messias unter uns zu entdecken. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS