Predigt zum Hochfest Maria Empfängnis (Lk 1,26-38)

Erwählt

Maria war nicht älter als zwölf oder dreizehn Jahre, als Gott ihr diese Botschaft überbrachte, die wir gerade gehört haben: „Du wirst einen Sohn gebären. Er wird groß sein. Seine Herrschaft wird kein Ende haben.“

Das müssen wir uns deutlich vor Augen halten, um zu verstehen, was da wirklich passiert ist.

Ein zwölf-jähriges Mädchen, irgendwo in einem völlig unbedeutenden Dorf der Welt, wird von Gott dazu auserwählt, sein von Ewigkeit her geplantes Erlösungswerk der Menschwerdung und Rettung der Welt in die Tat umzusetzen.

Ich sag es daher noch einmal, damit uns das wirklich klar wird: Der große, allmächtige Gott sucht sich ein zwölf-jähriges Mädchen in einem unbedeutenden Nest im Nirgendwo aus, um Mensch zu werden und die Welt zu retten.

Genau das feiern wir am heutigen Fest mit dem offiziellen Titel „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“. Was in diesem Titel so kompliziert ausgedrückt ist, bedeutet ganz einfach: Gott erwählt das Kleine, Unscheinbare, Verborgene, um seine Pläne in dieser Welt zu verwirklichen.

Und das Schöne und wahrhaft Wunderbare daran ist, er tut es immer noch.

Ein Beweis dafür ist jede Taufe, die wir feiern. Bei jeder Taufe sagt nämlich Gott zu uns Menschen: Ich trau dir zu, dass du durch dein Leben, mit deinen Fähigkeiten, mir eine Hilfe bist für meine Pläne für diese Welt. Du bist auserwählt für den Dienst am Aufbau des Reiches Gottes. Du musst das nicht verstehen, Maria hat es auch nicht verstanden und ist erschrocken. Das einzige, was ich brauche, ist dein Ja, deine Bereitschaft. Fürchte dich nicht, dieses Ja zu sagen: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast.“

Für den heiligen Franz von Sales bedarf es für dieses Ja große Demut und Hochherzigkeit, wie sie eben Maria verwirklichte. Über dieses Geheimnis ihrer Erwählung sagte er Folgendes:

„Demütig sein heißt nicht nur, sich misstrauen, es heißt auch: auf Gott vertrauen. Aus diesem Misstrauen gegen uns und die eigene Kraft erblüht das Vertrauen auf Gott, aus diesem Vertrauen wiederum die Hochherzigkeit, von der wir reden. Die allerseligste Jungfrau gibt uns hierin ein sehr bedeutsames Beispiel: ‚Siehe, ich bin die Magd des Herrn,‘ so nennt sie sich selber. Das ist ein Akt allergrößter Demut. Er ist umso größer, als sie ihre Niedrigkeit den Lobsprüchen des Engels entgegenhält, der ihr verkündet, dass sie die Mutter Gottes wird und das Kind in ihrem Schoße ‚Sohn des Allerhöchsten‘ genannt werden soll, ja allen Lobpreisungen und dieser unausdenkbar hohen Würde ihre Geringheit und Unwürdigkeit gegenüberstellt, da sie sich als die ‚Magd des Herrn‘ bezeichnet. Nachdem sie aber so der Demut Genüge getan, schwingt sich ihre Seele allsogleich zu einem herrlichen Akt der Hochherzigkeit auf – beachtet das wohl – und sie spricht: ‚Mir geschehe nach deinem Worte!‘ Sie wollte damit sagen: Schau ich auf das, was ich aus mir selber bin, so muss ich meine Untauglichkeit für eine solche Gnade bekennen; schaue ich aber auf das Gute in mir, das ich von Gott habe, und auf den hochheiligen Willen Gottes, der in deinen Worten ausgesprochen ist, so glaube ich, dass es sein kann und sein wird. So antwortet sie denn ohne das geringste Bedenken: ‚Mir geschehe nach deinem Worte‘“ (DASal 2,80).

Zu diesem „Ja“ sind wir heute alle eingeladen. Ja, Gott, ich bin bereit, dir zur Verfügung zu stehen, so wie ich bin, mit meinen Fähigkeiten, die du mir geschenkt hast. Es ist eine Einladung … und jede und jeder von uns darf sich von Gott wie Maria angesprochen fühlen: „Fürchte dich nicht. Du hast bei Gott Gnade gefunden.“ Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS