Predigt zum Hochfest der Gottesmutter Maria – Neujahr (Lk 2,16-21)

Das Gute aufleuchten lassen

Am Ende eines Jahres wird gerne Bilanz gezogen. Die Statistik hat Hochkonjunktur. Wie war die Klimaerwärmung? War es wieder einmal ein Rekordjahr an Hitze, Unwettern, CO2-Emissionen. Wie war die Wirtschaftslage, das Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosenrate? Auch die Kirche zieht Bilanz: Wie viele Taufen? Wie viele Hochzeiten? Wie viele Kirchenbesucher? Wie viele Kirchenaustritte? Wie viele Beerdigungen gab es im letzten Jahr?

Meine persönliche Bilanz lautet: Ich durfte im vergangenen Jahr 64 Menschen auf ihrem letzten irdischen Weg zum Grab begleiten. Ich sag das deshalb so salbungsvoll, weil ich es wirklich so empfunden habe. Von 64 Menschen, von denen ich die allermeisten vorher nicht kannte, wurde mir ihre Lebensgeschichte erzählt – ihre Lebensbilanz. Manchmal sehr ausführlich, manchmal nur in Stichworten, manchmal wurde mir gesagt, da gibt es nichts zu erzählen.

Was mir dabei allerdings jedes Mal sehr deutlich wurde: Egal, wie ein Leben auch abgelaufen ist, egal, mit welchen Höhen, mit welchen Tiefen, ein jedes Leben ist einzigartig. Es gibt keine Verdoppelungen, keine Wiederholungen, keine Plagiate.

Und bei dieser Lebensbilanz lebt außerdem eine sehr gute, alte Tradition wieder auf: De mortuis nihil nisi bene – Von den Toten soll man nur Gutes berichten. Und Interessant: auch wenn ein Leben völlig daneben gegangen ist, auch wenn Vieles falsch gemacht und sogar Böses getan wurde, man findet trotzdem in jedem Leben dieses Gute – und das leuchtet auf, am Grab, bei der Verabschiedung. Das ist keine Heuchelei, auch wenn es manchmal so empfunden wird, es ist vielmehr das, woran wir Christen glauben, die an einen Gott glauben, der Mensch wurde, einer von uns, um uns zu retten und zu erlösen: Am Ende eines Lebens, im Angesicht unseres Schöpfers und Erlösers, leuchtet das Gute auf, und sei es noch so klein und unbedeutend.

Warum das so ist, haben wir aus dem heutigen Evangelium erfahren. Die Hirten finden das Kind, das in der Krippe liegt, und sie erzählen, was sie von diesem Kind gehört haben: „Und alle, die es hörten, staunten über das, was ihnen erzählt wurde.“

Im Angesicht unseres Schöpfers und Erlösers leuchtet eben das Gute auf, und sei es noch so klein und unbedeutend.

Ein neues Jahr liegt vor uns. Legen wir das alte Jahr vor Gott hin und lassen wir das Vergangene von ihm beleuchten, damit das Gute, das wir erleben durften, aufstrahlt. Nehmen wir dieses Gute in das neue Jahr mit, was weniger gut war übergeben wir der göttlichen Barmherzigkeit, damit er das Unvollendete, das Gebrochene vollendet.

Ein Rat des heiligen Franz von Sales möge uns dabei begleiten. Er schrieb einmal:

Gott „hat Sie bis jetzt bewahrt; halten Sie sich nur recht an [seiner] Hand … fest, und er wird Ihnen … beistehen und wird Sie tragen … Was brauchen Sie zu fürchten, … da Sie Gott gehören, der uns so fest zugesichert hat, dass denen, die ihn lieben, alles zum Wohl gereiche? (Röm 8,28). Denken Sie nicht, was morgen geschehen wird (Mt 6,34), denn der gleiche ewige Vater, der heute für Sie sorgt, wird auch morgen und immer Sorge für Sie tragen: Entweder lässt er kein Übel für Sie zu, oder wenn er es tut, dann wird er Ihnen auch den unbesiegbaren Mut schenken, es zu ertragen.

Bleiben Sie in Frieden, … entfernen Sie aus Ihrer Vorstellung, was Sie verwirren kann, und sagen Sie oft zu Unserem Herrn: ‚O Gott, Du bist mein Gott!‘ (Ps 30,15), und ‚ich vertraue auf Dich‘ (Ps 24,2); ‚Du wirst mir beistehen und meine Zuflucht sein‘ (Ps 90,2); ich habe nichts zu fürchten, denn ‚Du bist nicht nur mit mir‘ (Ps 22,4), sondern ‚in mir und ich in Dir‘ (Joh 15,4).“

Ich wünsch uns allen, dass wir diese Worte und all das Gute, das uns Gott schenkt, so wie Maria in unserem Herzen bewahren. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS