Predigt zum Gründonnerstag (Joh 13, 1-15)
Die Versuchung der Macht
Gegner des Christentums werfen der Kirche bis heute eine ganze Menge an Gräueltaten vor: Inquisition, Hexenverbrennung, Scheiterhaufen, Kreuzzüge, Zwangsmissionierung, Ausbeutung, Antijudaismus, Diskriminierung, sexueller Missbrauch … Man könnte fast meinen, die Kirchengeschichte wäre nichts anderes als eine Kriminal- und Skandalgeschichte, und nicht wenige behaupten das auch tatsächlich.
Und es stimmt, all diese Dinge sind leider passiert und passieren immer noch und zeigen sehr deutlich, dass selbst in den höchsten kirchlichen Kreisen die große Versuchung bleibend vorhanden ist, um der Macht willen selbst das Heiligste zu missbrauchen. Denn nichts anderes ist bei all diesen Dingen geschehen. Man ist der Versuchung der Macht erlegen und hat im Namen Gottes, im Namen Jesu, im Namen der Kirche Machtmissbrauch betrieben.
Der heilige Papst Johannes Paul II. hat deshalb auch im Jahr 2000 ein umfassendes Schuldbekenntnis abgelegt, um ganz klar deutlich zu machen, was auch die Botschaft des Gründonnerstages ist: Macht bedeutet bei Jesus Christus, dem anderen die Füße zu waschen. Herr und Meister ist derjenige, der dem anderen dient. Alles andere hat mit dem Christentum nichts zu tun, alles andere ist schlichtweg eine Verfälschung der Lehre Jesu.
Das sagt uns auch der heilige Franz von Sales, der einmal meinte: „[Jesus Christus] ist gekommen, um uns die Demut zu lehren, die er mit den Worten zeigt: Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen (Mt 20,28). Ich bin unter euch wie einer, der dient (Lk 22,27). Sind das nicht unvergängliche Merksätze und Auslegungen seiner überaus köstlichen Lehre?“ (DASal 10,96)
Ja, genau das sind die unvergänglichen Merksätze und köstlichen Lehren, die uns glückerweise gerade die Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus immer wieder in Erinnerung gerufen haben und in Erinnerung rufen.
Die Versuchung zur Macht existiert allerdings nicht nur bei denen da oben, sondern auch bei uns hier herunten. Bevor wir also mit dem Finger auf die anderen zeigen, sollten wir zunächst einmal in unser eigenes Herz schauen: Wie reagieren wir denn, wenn einmal etwas anders läuft, als wir das gerne hätten? Welche Machtspielchen treiben wir, um unseren Willen durchzusetzen? Welche Ellbogentechnik setzen wir ein, um uns eine gute Position zu verschaffen?
Die Lehre Jesu spricht eine völlig andere Sprache. Die Fußwaschung bei seinem letzten Abendmahl macht uns das unmissverständlich deutlich. Aus ihr zieht der heilige Franz von Sales den Schluss: Jesus, „der König der Herrlichkeit belohnt seine Diener nicht nach der Würde der Ämter, die sie bekleiden, sondern nach der Liebe und Demut, mit der sie ihre Aufgabe erfüllen.“ (DASal 1,112)
Genau daran möchte uns der Gründonnerstag jedes Jahr erinnern: Es geht in all unserem Reden, Denken, Handeln und Tun als Christinnen und Christen zuerst und vor allem um die Liebe und die Demut, also dem Mut zum Dienen – daran werden wir gemessen werden. Das ist die wahre Macht des Christentums – alles andere ist Missbrauch und tatsächlich ein Skandal. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS