Predigt zum Fronleichnamsfest (Joh 6,51-58)

Gottes radikale Nähe

Das Fronleichnamsfest macht wie kaum ein anderes Fest im Kirchenjahr deutlich, wie sehr sich Gott bemüht, uns Menschen wirklich ganz nahe zu sein.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang wieder einmal an den eindringlichen Wunsch des heiligen Franz von Sales, dass wir uns immer und überall, egal wo wir leben oder arbeiten, die liebende Gegenwart Gottes unter uns Menschen bewusst machen.

Der Höhepunkt dieser liebenden Gegenwart Gottes unter uns war für Franz von Sales das Sakrament der Eucharistie: hier wird Gott leibhaftig – also mit Fleisch und Blut – mitten unter uns gegenwärtig. So wie es Jesus im heutigen Evangelium formuliert: „Dieses lebendige Brot bin ich.“ „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm“. „Jeder, der mich isst, wird durch mich ewig leben.“

Diese Worte klangen nicht nur eindeutig radikal, sondern verursachten auch einen unerhörter Skandal: „Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben?“

Der heilige Franz von Sales erklärt dazu in einer Predigt: „Das … schien [den Zuhörern] wahrhaftig sehr roh, barbarisch und ungehörig. Wem sträubten sich nicht die Haare vor Entsetzen und wer würde nicht erschaudern, wenn er einen menschlichen Leib essen und das Blut eines Menschen trinken müsste? … Bei den Juden war … das menschliche Fleisch so unantastbar, dass man selbst nach der Berührung mit einem toten Leib unrein und befleckt war. Und was das Blut betrifft, war es so verpönt, dass es nach dem Gesetz nicht einmal erlaubt war, das der Tiere zu genießen. Was Wunder also, wenn diese armen Leute so erstaunt waren, als sie hörten, dass Unser Herr sein Fleisch und sein Blut als Speise und Trank geben wollte“ (DASal 9,80). In der Folge mussten sich die Christen immer wieder den Vorwurf der „Menschenfresserei“ gefallen lassen, die jede Woche Orgien feiern würden, in denen Menschen abgeschlachtet und mit Fleisch und Blut, Haut und Haaren verzehrt werden.

Die echte Radikalität dieser Worte Jesu besteht allerdings im Verhalten Gottes selbst: „Ich will radikal – also voll und ganz – bei euch sein, mit Fleisch und Blut, und nicht nur bei euch, sondern in euch, damit ihr das ewige Leben habt.“

In keiner anderen Religion wünscht sich Gott so sehr dieses Eins-Sein mit den Menschen. Um diese radikale Nähe herzustellen, wurde Gott Mensch, lebte als Mensch und opferte sich für die Menschen. Um diese radikale Nähe zu uns Menschen für immer sicherzustellen, schenkte uns Gott das Sakrament der Eucharistie und verwendete dafür nicht etwas Exklusives, sondern etwas, das es überall in der Welt gibt: Brot und Wein. Und er sagt: „Dieses Brot, das ist mein Fleisch – dieser Wein, das ist mein Blut“ – Nehmt und esst es, damit ich in euch sein kann.

Das Fronleichnamsfest fordert nun dazu auf, diese radikale Gegenwart Gottes unter den Menschen auch öffentlich in aller Welt sichtbar und spürbar werden zu lassen, in dem das eucharistische Brot durch die Straßen getragen und angebetet wird. Denn das ist für Franz von Sales der nächste radikale Wunsch, den Gott an uns hat: „Unser Herr will angebetet sein, wo immer er sein mag. … In der Eucharistie ist er verborgen, aber das darf kein Hindernis sein, dass er darin angebetet wird“ (DASal 9,91).

Das wären also die Fragen, die das Fronleichnamsfest jedes Jahr an mich stellt: Bin ich mir der Radikalität der Gegenwart Gottes bewusst? Wie nahe lasse ich Gott an mich heran? Wieviel Raum gebe ich ihm in meinem Leben? Und bin ich bereit, Gott immer und überall anzubeten? Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS