Predigt zum 11. Sonntag im Jahreskreis (Mt 9,36 – 10,8)

Gott liebt deinen Beruf

lassen wir uns noch einmal auf die Szene ein, die wir gerade gehört haben: Jesus Christus beobachtet die Menschen und er hat Mitleid mit ihnen. Er sieht ihre Müdigkeit und Erschöpfung, er erkennt, dass sie alleingelassen sind, wie eine Herde ohne Hirten. Er sieht aber auch die Fähigkeiten und Talente, die in den Menschen schlummern.

Mir persönlich geht es oft genauso, wenn ich durch die Stadt gehe, in der Straßenbahn oder U-Bahn sitze und die vielen Menschen sehe. Was verbirgt sich hinter den Gesichtern, welche Geschichte, welches Leben … sind die Menschen glücklich? Welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen? Sind sie allein oder haben sie jemanden, der mit ihnen geht, ein Familie, einen Partner, eine Freund? Und dann denke ich mir: 90 Prozent, oder sogar noch mehr von ihnen haben Gott verloren. Das macht mich manchmal wirklich traurig, weil ich selbst aufgrund meiner eigenen Erfahrung voll und ganz davon überzeugt bin, dass der Glaube nicht nur Halt gibt, ein tragfähiges Lebensfundament darstellt, sondern wirklich glücklich macht … und die meisten dieser Menschen wissen davon nichts oder wollen davon nichts wissen.

Wie reagiert Jesus? Er fordert uns auf, Gott um Hilfe zu bitten – und als Zweites wählte er aus der Schar der Menschen zwölf Jünger aus, die seine Botschaft in dieser Welt verkünden sollen, die zwölf Apostel. Ihnen sagt er: Geht zu den verlorenen Schafen, geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe.

Wir, die wir hier sitzen, regelmäßig Sonntag für Sonntag deutlich machen, dass Gott uns wichtig ist, wir können uns von Gott berufen wissen. Er hält uns tatsächlich für fähig, seine Botschaft in dieser Welt zu verkünden. Wir sind Apostel – von Gott in die Welt Gesandte. Das gilt nicht nur für den Papst, die Bischöfe, Priester und Diakone … sondern für jeden von uns, die wir erkannt haben, dass Jesus Christus und seine Frohe Botschaft für mich persönlich und für die ganze Welt wichtig und wertvoll ist.

Wie wir diese Berufung Jesu leben können, das mag uns ein Wort des heiligen Franz von Sales erklären, der ebenso von der allgemeinen Berufung aller Getauften zur Heiligkeit überzeugt war. Er schrieb einmal einer Frau: „Gott liebt ihren Beruf – also lieben wir ihn auch“ (DASal 6,86). Franz von Sales war fest davon überzeugt, dass jeder Mensch Fähigkeiten und Talente besitzt, die er in den Dienst Gottes stellen kann, darf und soll. Genau dazu ist er berufen, nicht nur in der Kirche, sondern vor allem in der Welt, dort, wo er lebt und arbeitet. Dort soll er mit seinen Fähigkeiten, mit seinem Charakter, mit seiner Art und Weise verkünden: „Das Himmelreich ist nahe.“

Unsere Aufgabe besteht also nicht darin, uns ständig irgendetwas zu wünschen, was wir nicht können. Wenn ich mehr Mut hätte, dann würde ich das tun, wenn ich besser reden können, würde ich das tun, wenn, wenn, wenn … Vielmehr sollen wir das, was wir können, ganz in den Dienst Gottes stellen. Gott verlangt von uns nichts Außergewöhnliches, sagt Franz von Sales, er möchte aber, dass wir das Gewöhnliche, also das, was wir können, unsere Fähigkeiten und Talente, die Gott uns geschenkt hat, außergewöhnlich gut tun. Dazu sind wir berufen, und zwar jeder einzelne von uns, egal welchen Beruf er auch ausübt.

Wenn wir heute die Namen der zwölf Apostel hören, dann glauben wir heute meistens, das wären alles Top-Leute gewesen, das Beste vom Besten. Aber das war ganz und gar nicht der Fall. Es waren ganz normale Menschen wie du und ich, Menschen mit ganz normalen Berufen und Menschen, die auch einige sogar recht große Fehler und Schwächen hatten. Ihre große Leistung bestand lediglich darin, dass sie sich von Jesus Christus ansprechen ließen, ihm geglaubt haben, zu seiner Berufung Ja gesagt haben und bereit waren, durch ihr Leben in der Welt auf ihre Weise und mit ihren Fähigkeiten die Frohe Botschaft zu verkünden: „Das Himmelreich ist nahe!“ Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS