Predigt zum Fest Heilige Familie (Lk 2,41-52)
Jesus bleibt eine Herausforderung
Die Erzählung vom 12-jährigen Jesus im Tempel von Jerusalem macht uns einmal mehr deutlich, dass wir mit unserem Bild, das wir uns von Jesus machen, vorsichtig sein müssen.
Die Heilige Familie – Jesus, Josef und Maria – wird uns ja sehr oft als heile Welt vermittelt, in der alles ganz reibungslos ablief. Und so ist es eigentlich gut, dass wir diese Erzählung haben, die deutlich macht, dass Jesus Christus nicht in die Schublade der Kategorie „Idylle“ und „Heile Welt“ gesteckt werden kann.
Ja, natürlich, ein bisschen Romantik kann auch gut tun. Die Weihnachtszeit ist ja voll davon: „Ihr Kinderlein kommet“, „Süßer die Glocken nie klingen“, „Stille Nacht heilige Nacht“ – Kerzenschein und Engelshaar. Aber bei all dem sollten wir uns auch an die harte Realität der Heiligen Familie erinnern, die neben dieser Idylle ebenso durch die biblischen Geschichten durchscheint.
Es ist eigentlich ziemlich brutal, von allen abgewiesen, in einem Stall auf die Welt kommen zu müssen. Und es ist noch brutaler, in dieser Welt als Flüchtling aufwachsen zu müssen, weil es Menschen gibt, die einen umbringen wollen.
Es wäre heute glaube ich ganz leicht, Jesus ein „posttraumatisches Stresssyndrom“ zu attestieren, nach all dem, was er als Kind erleben musste.
Und ich glaube auch nicht, dass das Arbeiterleben in Nazareth gerade einfach war. Was diese Familie jedoch auszeichnete, das war das Fundament, auf dem sie lebten – ihr Glaube, dass Gott in ihrer Mitte ist, dass er sie trägt. Sie waren der gleichen Überzeugung, wie es Jahrhunderte später der heilige Franz von Sales formulierte:
Egal, was auch passiert, „Niemals … verlässt uns unser guter Gott, es sei denn, um uns umso fester zu halten; niemals lässt er uns los, außer um uns besser zu behüten; niemals kämpft er mit uns, außer um sich uns zu ergeben und uns zu segnen“ (DASal 5,96).
Und diese Erfahrung machte die Heilige Familie auch in Jerusalem. Wie es der Glaube vorschrieb, machten sie ihre jährliche Wallfahrt. Und plötzlich ist Jesus verschwunden. Sie suchten ihn, und fanden ihn nicht. Erst nach drei Tagen entdeckten sie ihn im Tempel, mitten unter den Lehrern, mit denen er diskutierte und denen er Fragen stellte.
Ein jeder kann sich vorstellen, welche Gefühle in den Eltern vorhanden gewesen sein mussten, als sie ihren Sohn endlich entdeckten. Das Evangelium schreibt: „sie waren sehr betroffen“ … Und der Aufschrei Marias „Kind, wie konntest du uns das antun … wir haben dich voll Angst gesucht“.
Und was macht Jesus? Er versteht die Sorgen und Ängste seiner Eltern nicht: „Wieso habt ihr mich gesucht? – Ihr müsst doch wissen, dass ich dort bin, was meinem Vater gehört“.
Die Reaktion der Eltern auf diese Antwort ist durchaus nachvollziehbar: „Sie verstanden nicht, was er ihnen damit sagen wollte.“
Jesus Christus hat durchaus Ecken und Kanten – und die Evangelien verschweigen diese nicht. „Frau, was habe ich mit dir zu schaffen“ wird er bei der Hochzeit von Kanaa sagen. Die Familie wird später meinen, er sei „von Sinnen“ – und er wird antworten: „Wer ist meine Mutter, wer ist meine Familie – das sind die, die mein Wort hören und danach handeln“.
Jesus Christus, der Messias, der Sohn Gottes, bleibt ein Herausforderung – genauso wie Gott eine Herausforderung bleibt – für uns alle, jeden Tag. Vor allem dann, wenn in unserem Leben etwas passiert, das wir so ganz und gar nicht mit unserem Glauben an einen liebenden Gott vereinbaren können und fragen: „Gott, wie konntest du uns das antun?“ – „Wir haben dich voller Angst gesucht“.
Aber genau deshalb ist uns die Heilige Familie, so wie sie ist, ein großes Vorbild. Sie hat trotz ihrer Sorgen und Ängste, trotz ihrer Probleme und Herausforderungen, trotz ihres Suchen und Fragens, trotz eines schweigenden und verborgenen Gottes, den sie nicht verstanden, daran festgehalten, dass dieser Gott in ihrer Mitte wohnt.
Ich wiederhole den Satz des heiligen Franz von Sales: Egal, was auch passiert, „Niemals … verlässt uns unser guter Gott, es sei denn, um uns umso fester zu halten; niemals lässt er uns los, außer um uns besser zu behüten; niemals kämpft er mit uns, außer um sich uns zu ergeben und uns zu segnen“ (DASal 5,96).
Davon war auch die Heilige Familie überzeugt – und deshalb bewahrte Maria alles, was geschehen war, in ihrem Herzen. Darauf kommt es an: Gott im Herzen bewahren, egal was passiert, denn Gott ist und bleibt die Liebe auch wenn wir ihn nicht verstehen, und voller Betroffenheit nur Staunen können. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS